Das elfte Gebot
beobachten, der eben schrittweise nach einer gedruckten Tabelle eine Lösung abmaß. Offenbar schien er keine Ahnung von Pilzkulturen selbst oder überhaupt von Biologie zu haben, da er ausschließlich Routinearbeit verrichtete.
Zur Mittagspause war Boyd planmäßig mit der Arbeit fertig und unsäglich gelangweilt. Mit ein paar andern zusammen begab er sich in den Versandraum hinunter, in dem Bänke aufgestellt waren und eine kleine Küche Essen austeilte. Es wurden verschiedene Menüs angeboten, mit denen Boyd jedoch nichts anzufangen wußte.
„Ist es wirklich wahr, daß Sie vom Mars kommen?“ fragte eine sanfte Stimme neben ihm. Als er den Kopf zur Seite drehte, sah er Ellen Serkin neben sich stehen. Auf sein Nicken hin bekam sie kugelrunde Augen. „Ich habe es von anderen gehört. Sie haben Angst vor Ihnen.“
„Sie auch?“ fragte er.
Sie kräuselte die Lippen zu einem geringschätzigen Lächeln. „Ich bin nicht abergläubisch, Magister Boyd. Meine Mutter hat mich anders erzogen. Ich habe mehrere Bücher über den Mars gelesen, und soviel ich von den Menschen dort weiß, werden sie einfach niemals in den Stand der Gnade gelangen. Sie wissen nicht, was das für ein Essen ist, nicht wahr? Dachte ich mir jedenfalls, so wie Sie gucken. Ich werde es für Sie aussuchen.“
Sie bestellte nicht nur für ihn mit, sondern besorgte auch für beide einen Platz auf einer leeren Bank, wo niemand saß. Die Blicke der übrigen ignorierte sie einfach. „Sehr freundlich von Ihnen, Miß Serkin“, bedankte er sich bei ihr. Das von ihr ausgesuchte Gericht war zum Teil flau, zum Teil zu sehr gewürzt – die Künste des Kochs der Kathedrale wären hier willkommen gewesen –, aber es war sicher noch das Beste aus dem Angebot. Die übrigen Gerichte kennenzulernen würde er noch genügend Zeit haben.
„Mrs. Serkin“, berichtigte sie ihn. „Ich war verheiratet.“
„War?“
Sie nickte, und ein kurzer Schein von Trauer trübte ihr Gesicht. „Ganz recht, war. Bitte hören Sie nicht auf das, was andere Ihnen erzählen. Er war gut zu mir, bevor – ach, ich mag nicht darüber sprechen! Wie ist es, Boyd, werden auf dem Mars überhaupt noch Kinder geboren?“
Er versicherte ihr, daß alle anderslautenden Gerüchte unwahr seien. Die Menschen auf dem Mars würden genau wie anderswo Kinder bekommen. Rechtzeitig fiel ihm noch ein, ihr zu verschweigen, daß dies dort nicht in der freien Wahl des einzelnen stand.
Die kleine Kiste mit pflasterartigen Gegenständen hatte zwar keine Hormonpräparate enthalten; hormonale Verhütungsmittel waren schon seit langem nicht mehr in Gebrauch. Das Pflaster auf Boyds Schulter aber ließ in genügender Menge eine Substanz durch seine Haut hindurchdringen, um einen Monat lang seine Unfruchtbarkeit zu gewährleisten. Er verfügte über genügend Ersatz, um sein Leben lang damit auszukommen. Er mußte grinsen: Lag es doch in seiner Absicht, es überhaupt nicht erst zur Gelegenheit kommen zu lassen, die Bevölkerungszahl dieses Planeten, der ohnehin schon von einer Überflut von Geburten überschwemmt war, um ein weiteres Kind zu vermehren.
Als er in sein Labor zurückkehrte, fand er Vater Petty vor, dessen Miene jetzt keinerlei salbungsvolle Liebenswürdigkeit mehr zeigte: Er wirkte verkniffen, hatte die Lippen zusammengepreßt und schnauzte barsch los: „Wer hat Ihnen gestattet, mit der Behandlung von Kulturen zu beginnen? Es scheint an der Zeit zu sein, Ihnen klarzumachen, daß der Hefepilz nicht einfach eine bloße chemische Substanz ist – sondern ein lebendiges Wesen! Kein Widerspruch, Jensen! Schließlich habe ich dreißig Jahre damit verbracht, ihn zu studieren, und ich sage Ihnen, er lebt! Man muß sorgfältig mit ihm umgehen. Und was tun Sie? Wollen Sie unsere ganze Arbeit hier gefährden?“
„Immer mit der Ruhe, Vater“, meldete sich Firculo, der leise herangeschlichen war. „Ich habe alles überwacht. Daß der Pilz lebt, weiß der junge Mann sicher. Wie er mir erzählte, hat er sogar einen Magistergrad von einer marsianischen Universität.“
„Gilt hier nicht!“ wies der Priester ihn schroff zurück. „Und wenn auch – wissen Sie, ob es stimmt? Ich brauchte zehn Jahre mehr, als er jetzt alt ist, nur um die Philosophie vom Leben seelenloser Geschöpfe zu erlernen. Es darf einfach nicht sein, daß er schon jetzt mit richtiger Forschung beginnt! Und außerdem: Sind Sie sicher, wirklich zu wissen, was er tut?“
Firculo schaffte es dennoch, den Alten zu beruhigen und
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