Das elfte Gebot
Boyd. „Freundlich und nett. An die sollten Sie sich halten.“
Die Fahrt zu Boyds Wohnung beanspruchte weniger Zeit. Boyd kletterte heraus und langte in seine Tasche, um die vereinbarten drei Kilar zu bezahlen. Egal, dachte er dann und zog die sechs Zehn-Kilar-Noten heraus, die er ursprünglich für das Essen hätte entrichten müssen. „Ich habe heute abend Glück gehabt“, sagte er. „Hier, nehmen Sie, Harry, Sie können sicher mit Ihrer Schwester mehr damit anfangen.“
Harry starrte darauf und faßte sich dann an den Hut. „Gott sei mit Ihnen, Herr! Na klar, das wird uns helfen. Besser aber, ich teile den Rest mit meinen Kumpeln. Gute Nacht, Mister.“
Boyd ging nach oben auf sein Zimmer. Seit seiner Ankunft vom Mars hatte er sich nicht besser gefühlt. Ein rundum gelungener Abend.
Dann aber fiel ihm der arme Teufel von Kellner wieder ein, und er war aufs neue erschüttert. Auf der Erde wurde offenbar alles Gute überreichlich ausgeglichen durch etwas Schlimmes. Das blutige Taschentuch wickelte er in feuchtes Papier und legte es in eine Plastiktüte. Morgen im Labor ergab sich bestimmt eine Gelegenheit, es unter dem kleinen Normalmikroskop zu untersuchen.
Am nächsten Tag war er frühzeitig an seiner Arbeitsstätte, die Untersuchung der Blutflecken verriet ihm jedoch nichts. Das Blut war zu lange der freien Luft ausgesetzt gewesen. Er sterilisierte sorgfältig Hände und Instrumente und verbrannte das Tuch. Möglich, daß es eine ansteckende Krankheit gab, die solche Symptome hervorrief. Das mußte er später herausfinden. Menschen jedoch wie Tiere zu verjagen und sie in ein Getto einzusperren, aus dem sie nur noch zum Betteln herauskamen, war kaum der Weg, damit fertig zu werden. Seine Großmutter wäre über derartige medizinische Sitten entsetzt gewesen.
Als Ellen hereinkam, wandte er sich lächelnd zu ihr um, bis er ihr Gesicht sah.
„Wir sind alle gefeuert!“ erzählte sie. „Vater Pettys Bericht nach sind die Tests überzeugend gewesen. Man hat die gesuchte Hefepilzart gefunden, also werden wir jetzt nicht mehr gebraucht. Ich habe Ihnen ja erzählt, daß man Priestern nicht trauen darf.“
Später kam Firculo vorbei, um die Meldung zu bestätigen. Petty hatte den Schlußbericht abgegeben und den Betrieb bereits verlassen. Ohne seine Genehmigung aber durfte keinerlei weitere Forschungstätigkeit betrieben werden, obwohl Firculo den Mitarbeiterstab für ein weiteres Projekt zu behalten gehofft hatte. Jetzt war alles zunichte, und er mußte sich wieder ganz von neuem nach biologischen Forschungsarbeiten umsehen.
Boyd wurde klar, daß seine Pläne nicht nur hinsichtlich der Anerkennung seiner Verdienste gescheitert waren. Seine Arbeit hatte obendrein für die Vernichtung seines eigenen Arbeitsplatzes gesorgt. Ihm blieb nur noch eines: seine Instrumente einzusammeln und sich, den andern Laborangestellten möglichst aus dem Weg gehend, auf den Heimweg zu machen. Zwar fühlte er sich nicht persönlich für den Verlust ihrer Arbeitsplätze verantwortlich – wußte er aber, welchem merkwürdigen Ethos zufolge sie ihn vielleicht als Schuldigen ansahen? Sogar das erste selbstverdiente Geld seines Lebens vermochte ihn nicht über seine jetzige Stimmung hinwegzutrösten.
5
Samstagmorgen wurde er in aller Hergottsfrühe von Buckel-Pete geweckt. Trübes Morgenlicht sickerte eben erst durch das Fenster ins Zimmer herein. Er schlug die Decke zurück und langte nach dem Umhang, den er jetzt als Hausmantel benutzte. Er wollte Mrs. Branahan informieren, daß er nicht zur Arbeit gehen mußte – außerdem war es ja noch beinahe Nacht! Dann erst sah er das Gesicht von Pete an der Tür.
„Unten auf der Treppe ist’n Mädel für Sie“, meldete Pete. „Sagte ihr, sie soll raufgehen, sie wollte aber nicht. Hat keinen Namen gesagt. ‚Soll ich ihm Ihren Namen sagen?’ frag’ ich. Sie sagt:, Sicher’ – aber dann hat’sen doch nicht gesagt.“
Boyd lachte. „Sie heißt Serkin, Pete – es kann nur sie sein. Sagen Sie ihr bitte, ich käme gleich herunter.“
„Wie wär’s, wenn Sie einfach ein bißchen langsamer machten“, schlug Pete vor. „Vielleicht kommt sie dann rauf.“
„Und was sagt der Moralkodex dazu, Pete?“ hielt Boyd dagegen. Er hatte schon bemerkt, daß Pete – im Unterschied zu Gordini und Ellen – nicht besonders prüde war. Womöglich hatte seine lebenslange Tätigkeit als Hotel- und Mietshausverwalter all sein Zartgefühl abstumpfen lassen.
„Über ein bißchen
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