Das elfte Gebot
einmischen! Wär’n genug Grauviecher für uns alle gewesen – verjagen mußte ’r se!“ Er hieb mit dem Knüppel auf ihn ein, stockte aber mitten im Schwung und sackte auf die Knie. Ein schwerer Steinbrocken hatte ihn mitten im Kreuz getroffen. Boyd verlor keine Zeit und machte sich aus dem Staube. Als er wieder auf die Straße zurückkam, wischte Ellen sich eben die Hände ab.
„Danke für die Hilfe“, sagte er. „Warum tun die das?“
„Hunger“, erklärte sie. „Sie haben ihnen ihr Essen verjagt.“
Der Gedanke verschlug ihm den Atem. „Aber der Junge am Boden starb dabei!“
„Ich weiß.“ Entschlossen schüttelte sie dann den Kopf. „Lassen Sie uns besser über Ihr Erlebnis hier schweigen, Boyd. Wir befinden uns eben nicht an der Kathedralenallee.“
Morts Wohnung befand sich im nächsten Block. Eine Ecke, übriggeblieben von einem völlig ausgebrannten Gebäude, war zu einem einzelnen schmutzigen, fast lichtlosen Raum von weniger als drei Quadratmetern wiederhergerichtet worden. Eine Raumecke war durch einen Trennvorhang abgeteilt worden und diente als Quartier für die Frauen.
„Hier wohne ich nun also“, sagte Ellen und begann damit, ihn vorzustellen. Mort war im Augenblick nicht anwesend, wohl aber seine Frau, ein verhärmtes Wesen, höchstens dreißig Jahre alt, die wie fünfzig aussah. Die sich um sie scharenden Kinder konnte man deutlich in zwei Altersgruppen unterscheiden – älter als zwölf und jünger als sechs. „Die Größeren leben bei Morts erster Frau“, flüsterte Ellen ihm zu. „Die anderen sind von Sue, jedenfalls diejenigen, die noch leben. Dann gibt’s Onkel El, aber der ist gerade ausgegangen.“
Die Kinder standen umher und glotzten ihn an, während die Frauen trotz seines Protests geschäftig einen Platz für ihn freimachten. Eine Minute später watschelten Schritte die Treppe abwärts, und ins Kinderzimmer herein kam Mort. Die beiden Frauen mitsamt Kindern verzogen sich augenblicklich hinter den Trennvorhang.
Mort stellte sich als derart häßlich heraus, daß er, sah man mal von seinem alles andere als muskulösen, schlaffen Fettwanst ab, ohne weiteres als Gorilla hätte durchgehen können. Den breiten Mund zu einem Grinsen verzogen, kam er, eine schmuddelige Hand vorgestreckt, auf Boyd zu. „Junge, sieh an, der Marsianer! Hab’ schon allerhand von Ihnen gehört. Schwesterherz redet über nichts anderes mehr. Ich … also, ich bin Mort. Für meine Freunde bloß Mort, den Mr. Maine können Sie vergessen. Wie geht’s so? Hörte, Sie sind rausgeflogen?“
Was Boyd zugab, worauf Mort loslachte. „Machen Sie sich deswegen mal keine Sorgen. Findet sich immer eine Möglichkeit des Auskommens – erst recht für eine Frau. Nehmen Sie Ellen: Wenn sie jetzt schwanger würde, käm’ sie auf den vordersten Platz der Warteliste beim Arbeitsamt. Außerdem gibt’s ein Büro extra für Schwangere. Und wenn ihr beide hier wohnen wollt, ich hätte nichts dagegen. Na, was halten Sie davon?“
„Sie irren sich“, versuchte Boyd klarzustellen. „Zwischen Ihrer Schwester und mir ist bisher nichts vorgefallen.“
Mort feixte ungläubig, wenngleich in seinen Augen sekundenlang eine Spur echter Unruhe auftauchte, die aber gleich wieder von Gerissenheit verdrängt wurde. In Boyd stieg Ärger angesichts dieser fast unverhohlenen Plumpheit auf.
Mort schien diese Reaktion zu spüren. „Ähem, ja. Wo Rauch ist, gibt’s auch Feuer, sag’ ich immer. Aber ich wollte Sie eigentlich wegen was anderem sprechen. Ich hätte da einen Vorschlag zu machen. Sie sind doch vom Mars, wo es gewisse Dinge gibt, wie ich von andern Burschen gehört hab’, die auch von dort kamen. Ich wollte Sie fragen, wieviel Bremser Sie mir besorgen könnten.“
„Was bitte!“
„Bremser. Sie wissen schon: Kontras, na, dieses Hormonzeugs. Gibt mordsmäßig viele, die danach hinterher sind. Ich selbst gebrauche sie zwar nicht, wie man sieht, haha! Würde mit Ihnen halbe-halbe machen – und es springt ’ne Menge für jeden dabei heraus.“
Er sah Boyd mit einem stechenden Blick an. „Na, wie steht’s damit?“
Boyd schüttelte den Kopf, wohl wissend, daß Ellen jedes Wort dieses Gesprächs hören mußte. Wenn er sich recht entsann, war Mort nur ihr Halbbruder. Kaum zu glauben, daß sie mit ihm verwandt war.
„Ich fürchte, Sie sind falsch informiert worden“, sagte er. „Hormonale Verhütungsmittel werden auf dem Mars seit langem nicht mehr verwendet. Ich habe nicht eine einzige
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