Das elfte Gebot
Kapsel.“
Mort glotzte ihn einen Moment erstaunt an, schien ihm aber dann zu glauben. „Nun gut, versuchen wird man’s ja noch dürfen, oder? He, Sue, her mit dem Spülwasser! Sie und Ellen bleiben doch noch auf einen Happen, ja?“
Ellen kam mit kreidebleichem Gesicht und scharf dagegen abgegrenzten hochroten Wangen aus dem Verschlag heraus. „Nein“, sagte sie. „Wir wollen in die Messe.“
Mort hatte das Interesse an Boyd verloren. Er nickte. „Schon gut, schon gut. Bis später dann.“
Draußen auf der Straße trat Ellens Ärger offen zutage und brach aus ihr heraus. Boyds Blick meidend, erklärte sie: „Mort hat sich nach dem Tod meiner Mutter um mich gekümmert. Er war wirklich gut zu mir und hat sogar für meine Erziehung bis zu Ende bezahlt.“
Boyd faßte sanft ihren Arm und verkniff sich jeden Kommentar. Und als sie das Viertel verließen, schienen sie aller Ärger und die Scham wieder verlassen zu haben. Sie richtete sich gerade auf und begann wieder, den Weg zu bestimmen.
Die Kirche zur Gesegneten Mutter unterschied sich stark von der Kathedrale – sie war ein rein religiöses Bauwerk, das sich zwar von den umliegenden Häusern abhob, aber dennoch nicht derart ehrfurchteinflößend wirkte. Im Innern umgab sie Kühle, und das Licht von den Buntglasfenstern legte sich gleichsam wie ein Segen auf Boyd. Selbst der Weihrauchgeruch schien ihn irgendwie freundlich zu stimmen. Er fand ihn einfach köstlich.
Jemand sprach Ellen an, dem sie Boyd vorstellte. Erstaunte Blicke ruhten auf ihm, die in ein Strahlen übergingen. „Sie sind wirklich zum erstenmal in einer Kirche, Herr Jensen? Welch ein Glück für Sie! Das bedeutet, daß Sie sich vor dem Altar etwas wünschen können.“
Boyd war wirklich noch niemals in einer Kirche gewesen. Er war fasziniert. Dieser beeindruckenden Umgebung fast erliegend, ahmte er unwillkürlich Ellens Kniebeuge nach.
Der Gottesdienst wurde nach einem altertümlichen Zeremoniell abgehalten. Die Amerikanische Katholische Eklektische Kirche war zum traditionellen Latein zurückgekehrt. Boyd fühlte sich, angefangen vom Eingangslied Introitus bis hin zum Credo, gleichzeitig eigenartig besänftigt und dennoch emotional aufgewühlt. Als dann der Priester die althergebrachte Formel zum stillen Gebet mit den Worten „Orate fratres“ aussprach, bedauerte er fast, nicht zu wissen, wie man betete. Vom Gesang zum Meßopfer bis hin zum abschließenden „Sanctus, sanctus, sanctus“ plagte ihn sein Unwissen über deren Bedeutung, aber er versuchte wenigstens, Ellens Erleben nachzuvollziehen, als sie sich dem Gang zum Altar angeschlossen hatte und mit einem feierlichen, geisterfüllten Gesicht zurückgekehrt war.
Danach entstand Bewegung unter den Teilnehmern des Gottesdienstes. Die Lichter leuchteten hell auf, und die Gemeinde begann sich zu teilen: Die Frauen rückten alle an die Außenseiten der Kirchenbänke vor. Die Orgel setzte mit einer aufrüttelnden Melodie ein, in die die Priester mit einem Gesang, in dem das Wort „Mater“ zu überwiegen schien, einstimmten. Jetzt erschienen zwei Priester, die Boyd bisher nicht gesehen hatte, ganz in Weiß gekleidet, und schritten zum Altar hin. Dort vollzogen sie ein kompliziertes Ritual, wobei sie einen Schrein aufschlossen, in dessen Innern eine großartige Figurine, anscheinend aus Silber gefertigt, sichtbar wurde, geschmückt mit einem kunstvoll verschnörkelten, blitzenden Strahlenkranz.
Nun verstand Boyd nichts mehr von dem Zeremoniell, das in keinem Punkt mehr seinem Wissen vom althergebrachten Ritual ähnelte. Offensichtlich wurde die Figurine von den Priestern gesegnet und von der Gemeinde angebetet. Zum Schluß hoben die beiden weißgekleideten Priester die Statue aus dem Schrein und schritten mit ihr vom Altar aus das Hauptschiff abwärts.
Die Frauen schienen in Raserei zu verfallen. Sie drängelten zur Außenseite der Bänke hin, stießen sich gegenseitig beiseite, blieben aber immer innerhalb der vom Mittelläufer abgesteckten Grenze. Sie streckten die Hände aus, öffneten und schlossen sie im Bemühen, die Figur zu berühren. Boyd blinzelte und sah erneut hin: Die Punkte auf dem silbernen Kleid verfärbten sich rot!
Die Prozession passierte auf ihrem Weg auch die Stelle, an der Ellen sich gemeinsam mit anderen Frauen drängelte, durchmaß die Seitenschiffe und endete schließlich wieder am Altar. Es folgten eine abschließende Segnung und Gebete, bis die Statuette wieder in den Schrein zurückgestellt wurde.
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