Das elfte Gebot
Sie überhaupt etwas von Medizin verstehen.“ Danach ratterte er eine Handvoll Fragen herunter und verlangte deren Beantwortung.
Boyd hatte einen Großteil der Fachbibliothek seiner Großmutter durchgelesen und verfügte auch über ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Diese Fragen aber brachten ihn gehörig ins Schwitzen. In der letzten beispielsweise wurde ein Krankheitsbild genannt, welches aus Lichtempfindlichkeit, geschwollenen Knoten in der Leistengegend, absoluter Fokussierunfähigkeit der Augen sowie weiteren Merkmalen bestand. Er hatte noch nie davon gehört.
„Ich würde den Patienten zu einem Facharzt oder in ein Krankenhaus überweisen“, befand er nach einigem Überlegen, „wo ihm hoffentlich seine Hypochondrie ausgetrieben wird und womöglich alles wieder von selbst verschwindet.“
Willmark zuckte zusammen und ließ ein entzücktes Kichern vernehmen. „Genau so habe ich beim ersten Fäll entschieden. Es hat aber nicht geholfen. Allein dafür aber gebührt Ihnen schon Anerkennung. Sie sind zwar kein Arzt, aber wenigstens besser unterrichtet als so mancher, den ich heutzutage zu prüfen habe. Jedenfalls reicht es, um mein Gewissen zu beschwichtigen. Heben Sie nun bitte Ihre Hand.“
Die Einleitung der althergebrachten hippokratischen Eidesformel hatte inzwischen eine Änderung erfahren: „Ich schwöre bei Hippokrates, dem Arzt, und bei Asklepios, dem Gott der Heilkunst, und bei Gott, dem Allmächtigen, die ich zu Zeugen anrufe, daß ich nach bestem Vermögen und Urteil diesen Eid und diese Verpflichtung erfüllen werde …“ Der Rest war im Wortlaut fast unverändert geblieben bis auf eine Zeile, die Willmark durch besondere Betonung unterstrich: „… Und des weiteren will ich keiner Frau ein Pessar verordnen, welches die Schwangerschaft verhüten könnte …“
Willmark führte den Eid zu Ende und wandte sich gleich darauf zum Gehen. Ein letztes Mal schwenkte er noch herum: „Oh, Entschuldigung, Sie sind damit zugelassen, hätte ich beinahe vergessen.“ Er streckte ihm die Hand hin. „Herzlichen Glückwunsch, Dr. Jensen“, sprach er feierlich.
Man hatte bereits Karten ausgestellt, die Boyd größere Privilegien bezüglich einer Wohnung, Proteinnahrung und dergleichen zugestanden. Außerdem lag eine Zuweisung für eine Arbeitsstelle in den Kathedralenlaboratorien mit einem doppelt so hohen Gehalt wie bei Firculo vor. Und schließlich erhielt er drei hellblaue Kombinationen, komplett mit den dazugehörigen Roben, sowie einen eigenen kleinen Umkleideraum zugeteilt.
O’Neill strahlte, als er damit herauskam. „Ist das nicht prächtig, Boyd? Jetzt noch zwei andere Dinge. Sie sollen fürs erste mit der von Ihnen stabilisierten Hefepilzart arbeiten. Seine Heiligkeit meint, das wäre ein gutes Training, und wünscht sofort davon zu erfahren, wenn auch andere Arten wissenschaftlicher gemacht werden können. Obendrein brauchen Sie einen Assistenten. Ich hatte mit gedacht, ob man nicht dafür dasselbe Mädchen anfordern könnte, das auch im Bericht erwähnt wird. Irgendwelche Einwände dagegen? Wir lassen gern ein eingespieltes Team zusammen, wissen Sie.“
Boyd begann seine Meinung über den alten Petty etwas zu revidieren. Der Priester hatte auch Ellen einen kleinen Anteil an dem Ruhm zukommen lassen. Ob das jedoch etwas mit O’Neills Wahl des Assistenten zu tun hatte, war unklar. Womöglich war es eine Sitte der Amerikanischen Katholischen Eklektischen Kirche, nach der er langsam ihr feines elftes Gebot zu befolgen hatte, weshalb sie jetzt die Kupplerin spielte. Dennoch nickte er. „Ich hätte sie gern weiter bei mir, falls sie nicht inzwischen eine andere Arbeit gefunden hat.“
„Ich denke schon, daß wir sie bekommen können“, versicherte O’Neill ihm. „Und jetzt könnte ich mir denken, daß Sie die Laboratorien sehen möchten, oder nicht? Bruder Mark wird Ihnen den Weg zeigen.“
Beim Eintreffen stellte sich heraus, daß die Laboratorien keineswegs seiner Erwartung entsprachen, sie würden, was die Ausstattung betraf, Firculos armselige Labors kaum übertreffen. Zwar hielten sie keinen Vergleich mit dem hohen marsianischen Standard aus, aber Boyd fühlte sich sofort heimisch in ihnen. Die Räume waren die größten, die er bisher auf der Erde gesehen hatte, gutbeleuchtet und ausgerüstet mit allem, was nötig war, von Ausgußbecken über Tische bis hin zu vorzüglichen Schneidegeräten für mikroskopische Präparate. Die Apotheke und das Gerätemagazin machten einen reichhaltigen
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