Das elfte Gebot
und gutbestückten Eindruck, und ein festangestelltes Glasbläserteam stellte jedes verlangte Spezialgefäß her. Er zählte etwa vierzig mit verschiedenen Aufgaben beschäftigte Einzellaboratorien, von denen, wie er herausfand, nur etwa ein Drittel von vollausgebildeten Zytologen geleitet wurden.
Er überflog eben die Buchreihen in der Handbibliothek, als sein neuer Leiter dort auftauchte. Unter dem Laboratoriumskittel schaute der Zipfel einer Priesterrobe hervor. Mager und hohlwangig, darüber buschige Augenbrauen, die den zynischen Gesichtsausdruck noch verstärkten, und ungewöhnlich hochgewachsen, verlor der Mann keine Zeit mit Vorgeplänkel.
„Wir benutzen nur unsere Vornamen hier – es gibt zu viele hohe Tiere hier“, erklärte er und streckte Boyd seine langfingrige Rechte hin. „Mein Name ist Benjamin Muller – für Sie kurz Ben. Ich habe Sie schon erwartet. Erfreut, Sie zu sehen. Uns mangelt es an neuen Ideen, mit denen wir unsere festgefahrenen Auffassungen überwinden können, und Ihre Marsausbildung gestattet uns neue Sichtweisen, wie wir hoffen. Na, wie gefällt’s Ihnen hier?“
„Gut“, gestand Boyd. „Wann fange ich an?“
„Jederzeit, wann Sie nur wollen. Hinsichtlich Ihres Projekts gibt’s jedoch nicht eher etwas zu tun, bis wir komplette Testergebnisse und Stichproben haben. Das ist vermutlich am Donnerstag. Sie können ja morgen schon mal einige Stunden hereinschauen und erste Eindrücke sammeln. Ganz wie es Ihnen beliebt. Ansonsten: sachte angehen lassen, gewöhnen Sie sich an Ihre neue Robe, tun Sie, was Sie gern möchten.“
Boyd sah mit reumütigem Lächeln auf die offenkundig ungetragene neue Kleidung herab. „Ich glaube, Ben, ich muß Ihnen sagen, daß ich als Arzt ein klarer Schwindler bin. Aber ich habe immerhin den Magister in Zytologie.“
„Völlig unwichtig. Mich interessiert auch nicht, wie Sie zu Ihrem Doktortitel gekommen sind.“ Die tiefliegenden Augen schauten einen Moment lang verbittert drein. „Willmark und ein paar andere hier versuchen zwar, ein möglichst hohes Niveau zu halten, aber dennoch sind neun von zehn Doktoren bei uns nicht zu mehr fähig, als gerade eben ein Schulbuch zu lesen und vielleicht noch Antibiotika per subkutaner Injektion zu spritzen. Ab der Minute, wo man Ihnen die Robe übergibt, haben Sie das Recht zu praktizieren. Keine Widerrede gegen die Obrigkeit!“
Boyd fand allein zum Ausgang der Kathedrale und machte sich halb benommen auf den Heimweg. Zu viele Neuigkeiten waren heute auf ihn eingestürzt. Alles hatte sich unglaublicherweise anscheinend zum Guten hin entwickelt. Er hegte jedoch fast abergläubisch zu bezeichnende geheime Befürchtungen gegenüber Geschichten, die sich stets gut angelassen und später dann in einer Katastrophe geendet hatten. Diese Entwicklung schien jedoch typisch für irdische Verhältnisse zu sein. Ihm fiel in diesem Zusammenhang ein ständiger Ausspruch seiner Großmutter ein, der seine Zweifel noch bestärkte: „Man muß für alles im Leben bezahlen!“
Ein Mann rempelte ihn an, vielleicht auch er ihn. „Verzeihung, Herr Doktor!“ entschuldigte sich die graugekleidete Figur.
Aus einem Impuls heraus machte er kehrt, ging ins Laboratorium zurück und begab sich dort in die Arzneimittelausgabe. Ohne jeden Vorbehalt wurde ihm das ausgehändigt, was er verlangte. Die kleinen Ampullen enthielten ein hochwirksames Pharmakon, und die kleine Injektionsspritze machte einen tauglichen Eindruck. Er packte alles in einen Beutel und ging. Draußen steuerte er mit entschlossenen Schritten einem Ziel zu. Er hatte die feste Absicht, sich den unrechtmäßig verliehenen Titel zu verdienen!
Nach einiger Suche fand er den Rikschastand wieder, sah Harry aber nicht. Einer der Männer erkannte ihn jedoch vermutlich an seinem blonden Haar wieder. „Hallo, Herr Doktor! Wohin wollen Sie? Harry ist gerade unterwegs, hat uns aber gebeten, Sie gut zu bedienen.“
Ohne Harrys Anordnung wäre der Mann sicher nicht be reit gewesen, Boyd – der auch einen Zuschlag bezahlt hätte – zum gewünschten Fahrziel zu bringen. Er hatte sich vorher schon mit zusätzlichem Bargeld versorgt.
„Klar weiß ich, wo die Bluter hausen. Wer nicht? Aber das ist ’ne gefährliche Gegend dort, Doktor.“
„Sie brauchen mich ja nicht ganz bis ans Ziel zu bringen“, drängte Boyd. „Setzen Sie mich einfach dort ab, wo ich sie finden kann. An der Stelle warten Sie dann auf mich. Falls Sie meinen, ich sei verseucht, gehe ich eben zu
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