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Das Elixier der Unsterblichkeit

Das Elixier der Unsterblichkeit

Titel: Das Elixier der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Gleichmann
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Zunge«, sagte Großmutter. Sie machte auf dem Absatz kehrt und verschwand ebenso schnell aus der Küche, wie sie gekommen war.
    Die Antwort meines Großonkels weckte sofort Sashas und mein Interesse. Wir wollten wissen, was er in einem Internierungslager gemacht hatte. Wo die Emilia-Romagna lag, war uns völlig schleierhaft, ebenso was es bedeutete, interniert zu sein. Wir wurden sehr neugierig, konnten aber nie danach fragen, denn nachdem Großmutter gegangen war, fuhr Fernando sogleich mit seinem Bericht über das Leben der Juden in der grausamen und totalitären Gesellschaft des Mittelalters fort, die von den machthungrigen Männern der Kirche und ihren unbarmherzigen Gerichten beherrscht wurde. Als er bemerkte, dass wir weniger konzentriert waren als gewöhnlich, erhob er sich, nahm Papier und Bleistift aus einer Küchenschublade und begann, zu schreiben und zu zeichnen, um uns Salman de Espinosas sechs Enkelkinder vorzustellen, deren ältestes Emmanuel hieß und sechs Söhne hatte:
    I.) Efraim – lebte als frommer Jude; als Erinnerung an den Pakt zwischen Gott und Israel wickelte er, außer am Sabbat und an Feiertagen, immer ein paar Lederriemen mit kleinen schwarz lackierten Schachteln (sogenannte Tefillin) um den linken Arm, in der Nähe des Herzens, und legte sich Schachteln, die Zitate aus dem fünften Buch Mose enthielten, auf den Kopf, wenn er sein Morgengebet verrichtete; er hielt sich an die Regeln des koscheren Lebens und folgte der Tradition bis auf das letzte i-Tüpfelchen; im Herbst seines Lebens wurde er zur Landflucht gezwungen und ließ sich in Portugal nieder; er wurde in Porto begraben.
    II.) Elias – ließ sich taufen, blieb aber insgeheim Jude; jedoch entdeckten die Spione der Inquisition in Ciudad Real, dass aus seinem Schornstein am Samstag kein Rauch aufstieg (Juden kochten am Sabbat nicht und feuerten deshalb den Ofen nicht an), und man verhaftete ihn; er wurde angeklagt, während der Fastenzeit Fleisch gegessen zu haben und die Psalmen Davids auf Hebräisch gelesen zu haben; nach mehreren Tagen brutaler Folter schlug man ihm die Hände ab und hackte die abgetrennten Körperteile in kleine Stücke; er wurde bei lebendigem Leibe verbrannt.
    III.) Elon – wurde früh zum gläubigen Christen, nachdem er Jesu Antlitz in der Hühnersuppe gesehen hatte, die er von der Mutter zum Pessach serviert bekam; beschloss, das einzig Sinnvolle, was er mit seinem Leben anfangen könne, sei, sich dafür einzusetzen, dass das Christentum und Gottes Kirche blühten; bemerkte durch einen Zufall, dass er Wunder vollbringen konnte: Es hieß, er habe die Gabe, Tauben das Gehör wiederzugeben, Stummen die Stimme und Blinden das Sehen; war lange Prior im Dominikanerkloster San Pablo; beendete sein Leben als Bischof in Santander.
    IV.) Enoch – heiratete aus Liebe eine ältere christliche Witwe, nachdem er zu ihrem Glauben übergetreten war; studierte Jura und wurde Bürgermeister von Madrid; war ein ausgezeichneter Administrator und wurde zum Minister in Kastilien ernannt; bewegte das Königspaar dazu, ein Gesetz zu erlassen, dem zufolge Juden, die nicht getauft waren, ein Zeichen auf ihrer Kleidung tragen und getrennt vom Rest der Bevölkerung leben sollten; er starb kinderlos an inneren Blutungen.
    V.) Esaias – war eine hinterhältige Person, ein Meister der Camouflage: veränderte früh seinen Namen zu Enrique Espanol, mit dem Ziel, die Spuren seiner Herkunft auszulöschen; stellte sich in den Dienst der Inquisition; in seinem Eifer, tausende von Juden auf den Scheiterhaufen zu bringen, überstrahlte er seine Kollegen und machte rasch Karriere; König Ferdinand wurde aufmerksam auf seine unschätzbaren Verdienste; wurde zum Kommissar ernannt und erhielt die Verantwortung für die Vertreibung der Juden aus Spanien.
    VI.) Ezra – war der Rebell in der Familie; war früh schon fasziniert von der Geschichte der aufrührerischen Makkabäer, die der Vater oft abends am Sabbat erzählte, und beschloss, sein Leben dem Kampf gegen die Männer der Inquisition zu weihen; war beteiligt an der Planung und Durchführung des missglückten Versuchs (angeführt von Salman de Espinosa), den Großinquisitor Tomás de Torquemada zu ermorden; wurde nach grausamer Folter gezwungen, in Sevilla den Scheiterhaufen zu besteigen; die letzten Worte, die über seine Lippen kamen, bevor die Flammen sein junges Leben auslöschten, lauteten: »Vergib mir, sei mir gnädig, Herr Jesus Christus.«
    Nachdem ich all dies gehört hatte,

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