Das Elixier der Unsterblichkeit
dachte ich plötzlich, dass meine entfernten Verwandten mir fremd waren. Ihre Gemeinheit und ihr schlechter Charakter ließen mich für einen Moment Scham darüber empfinden, ein Spinoza zu sein.
DIE HUNDE DES HERRN
Im Volksmund wurden sie Domini canes genannt, die Hunde des Herrn. Die Dominikaner waren die Bluthunde der Inquisition. Sie suchten ständig nach Ketzern, Scheinchristen, die nur so taten, als hätten sie den jüdischen Glauben abgelegt, insgeheim jedoch an gewissen Traditionen festhielten: Sie aßen kein Schweinefleisch, sie hielten den Sabbat ein oder fasteten am Versöhnungstag. Sie wurden herabsetzend als Marranen bezeichnet, was »Schweine« bedeutete.
Die Dominikaner bauten auf die Unterstützung durch Denunzianten, deren Tätigkeit von den Priestern gesegnet wurde: effektive Denunziation war ein hohes katholisches Ideal. Doch als wäre der Segen der Kirche nicht genug, wurden die Denunzianten auch noch mit weltlicher Belohnung in Form von Steuerbefreiung gelockt. Um das Denunziantentum weiter zu erleichtern, erarbeiteten die Dominikaner eine Schrift mit zwanzig Punkten, an denen man einen Juden erkennen sollte – am Aussehen, an Gewohnheiten, an der Ausdrucksweise.
Die Marranen wurden ebenso häufig aus Bürgerhäusern wie aus Judenvierteln geholt. Die unglücklichen Opfer wurden in die Kellergewölbe des Klosters gesperrt, die zu Gefängnissen der Inquisition umgebaut worden waren. Hier wurden sie von den Dominikanern und Mitgliedern der Heiligen Bruderschaft Santa Hermandad, einer bunten Schar aus Landstreichern, Schlägern und freigelassenen Strafgefangenen, überwacht und gefoltert. Viele der Gefängnisse waren so überfüllt, dass die Gefangenen stehen mussten, selbst wenn sie schliefen.
Die Marranen wurden vor sogenannte Glaubensgerichte gestellt, ohne zu wissen, wessen sie angeklagt wurden, und ohne sich verteidigen zu können. Die Inquisitoren wollten schnelle Geständnisse, und es war gleichgültig, auf welche Weise diese zustande kamen – mit oder ohne Folter. Die kurzen Verfahren führten meistens zu Todesstrafen. Doch konnten diese in lebenslange Haft umgewandelt werden, wenn der Verurteilte sich mit der Kirche aussöhnte. Falls man später entdeckte, dass die Bekehrung vorgetäuscht war, musste der Heuchler sühnen, indem er sofort den Scheiterhaufen bestieg. Sogar Menschen, die schon dreißig Jahre tot waren, konnten noch als Ketzer verurteilt werden. Dann wurden ihre sterblichen Überreste ausgegraben und verbrannt, der Besitz der Erben wurde beschlagnahmt.
Das Wichtigste für die Inquisitoren war, den Besitz der Opfer zu konfiszieren. Diese leicht verdienten Einnahmen wurden zwischen der Kirche und der Krone aufgeteilt, allerdings führte die Verteilung häufig zu Unstimmigkeiten und Streit. Das geldgierige spanische Königspaar war in ganz Europa berüchtigt, und es hieß ganz offen, sie hätten die Glaubensgerichte nur eingeführt, um sich am Vermögen der Verurteilten bereichern zu können. Doch solcherlei Klatsch beeindruckte das Paar auf dem Thron in Madrid wenig, das davon träumte, Spanien zu vereinen und unter eigener Führung eine neue Ordnung in Europa einzuführen. Sie wussten nur allzu gut, dass neue Reiche nur auf wohlgefüllten Schatzkammern aufgebaut werden konnten.
»Das ist nichts Neues unter der Sonne«, pflegte mein Großonkel zu sagen. »Totalitäre Systeme kopieren und leihen Ideen voneinander. Hitler und Stalin kann man vieles vorwerfen, nur nicht, dass sie Neudenker gewesen wären. Nicht sie haben die Denunziation, Rassengesetze, Folter, falsche Urteile, Zwangsgeständnisse oder Massenausrottungen erfunden. Als uneheliche Enkel von Ferdinand und Isabella äfften diese Tyrannen nur die Methoden des katholischen Königspaares nach und verbesserten sie mit Hilfe der modernen Wissenschaft.«
Es war an einem Frühlingstag im Jahre 1420, als María de Torquemada von Angst ergriffen wurde und ihrem Beichtvater anvertraute, dass ihre Schwangerschaft zwar leicht sei, doch könne sie ab und zu deutlich Hundegebell aus ihrer Gebärmutter vernehmen. Bischof Pedro de la Cueva beruhigte María damit, dass der Sohn, den sie gebären sollte, schon bei der Zeugung das geistliche Licht empfangen habe. Das Hundegebell deutete er als ein Zeichen dafür, dass das Kind in ihrem Bauch ein »domini canis« sei, ein Auserwählter, der vom Herrn die Aufgabe bekommen habe, als Wachhund zu wirken und die Herde der Christen vor den jüdischen Wölfen zu beschützen.
Als Neffe
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