Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Elixier der Unsterblichkeit

Das Elixier der Unsterblichkeit

Titel: Das Elixier der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Gleichmann
Vom Netzwerk:
lassen. Ein Priester in Eindhoven, ein Günstling des Prinzen Fredrik Hendrik von Oranien, hatte den Schöpfungsplan in Teeblättern geschaut und sagte voraus, der Antichrist werde auf dem Kometen geritten kommen. Überall sprachen die Menschen mit Furcht und Beben vom bevorstehenden Weltuntergang.
    An diesem Abend hatten sich viele Menschen in Michael Spinozas Haus versammelt, um den Kometen zu sehen. Unruhe lag in der Luft. Der Gastgeber versicherte den Gästen, der Tag des Jüngsten Gerichts sei noch nicht gekommen. Es gebe keinen Grund zur Panik. Er erklärte, sein Verwandter seligen Angedenkens, der Kabbalist Moishe de Espinosa, habe den gleichen Kometen im Jahre 1325 in Granada beobachtet und berechnet, dass er dreihundertfünfzehn Jahre später wiederkommen und die Erde in geraumem Abstand passieren werde.
    Seine beruhigenden Worte überzeugten nicht alle; in vielen Gesichtern zeigte sich noch Skepsis.
    Als die Dunkelheit einbrach, kam ein Diener gelaufen und rief, der Komet sei jetzt von den Fenstern im obersten Stockwerk zu sehen. Alle stürzten die Treppe hinauf.
    Bento war wie gelähmt vor Angst, der Komet könnte das Haus der Familie vernichten. Er beobachtete seinen kleinen Bruder Isak, der auf dem Fußboden spielte. Aus einer plötzlichen Eingebung heraus versetzte er dem Kind einen Fußtritt an den Kopf. Er glaubte, sie seien allein im Zimmer, doch der Vater, der zurückgekommen war, um seine Brille zu holen, stand in der Tür hinter ihm und sah, was geschah.
    Michael Spinozas Gesicht verfinsterte sich vor Zorn. Er trat zu Bento, packte ihn am Arm und zog ihn in sein Arbeitszimmer, wo der Junge zur Strafe in der Ecke stehen musste. Gerade in diesem Moment stürzte eins der Mitglieder des jüdischen Rates ins Zimmer, völlig außer Atem.
    »Es ist etwas Schreckliches passiert«, stieß er mit bebender Stimme hervor. »Man hat Ihren Bruder Uriel tot in seinem Haus gefunden. Es war überall Blut, und er hat ein klaffendes Loch im Kopf.«
    Bentos Herz schlug wie rasend. Weinend stürzte er aus dem Arbeitszimmer, denn er verstand, dass er seinen Onkel Uriel getötet hatte.
    »Verzeihen Sie mir, Herr Spinoza«, sagte der Besucher und senkte die Stimme. »Es war unbedacht von mir, dies in Anwesenheit Ihres Sohnes zu berichten. Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist, aber mir lag daran, dass Sie es erfahren sollten. Ja, wenn man bedenkt, was der Rat beschlossen hat. Aber ich hätte selbstverständlich daran denken müssen. Bento ist ein so sensibler Junge.«
DAS WUNDERKIND
    Die Jahre vergingen, der Komet war weit entfernt, aber wann immer Michael Spinoza sich klarmachte, wie schwer es für ihn war, dass Bento in Rijnsburg lebte, wurde er von Wehmut ergriffen und dachte an jenen Abend.
    Der nächtliche Himmel über Amsterdam war vom langen Schweif des Kometen erleuchtet gewesen. Es war ein faszinierendes, aber zugleich furchteinflößendes Erlebnis, das viele Menschen in Angst versetzt hatte. Manche fürchteten, Europa würde in Schutt und Asche gelegt werden, andere fielen auf die Knie und leierten Gebete herunter, viele glaubten, die strahlende Herrlichkeit Gottes zu schauen. Der Komet strich an der Erde vorbei, ohne irgendwelche physischen Spuren zu hinterlassen, und setzte seine friedliche Fahrt durch den Kosmos fort, genau wie Moishe es vor dreihundertfünfzehn Jahren vorhergesagt hatte.
    Michael Spinozas stärkste Erinnerung an diesen Abend war Bentos sonderbare und unerklärliche Persönlichkeitsveränderung. Er war wie ausgewechselt. Vielleicht war es die Einwirkung des Kometen, dachte der Vater zuweilen. Von einem sehr oft boshaften und halsstarrigen Bengel hatte er sich über Nacht in den nettesten und umgänglichsten Jungen verwandelt, den man sich denken konnte.
    Was seine Studien anbelangte, brauchte Bento keinen Ansporn, er war ein Musterschüler und der Stolz der Schule. Alle, die ihm begegneten, verblüffte er durch Klugheit und Wissen. Mit elf Jahren war er schon in der Lage, die Thora und Gemara vorwärts und rückwärts aufzusagen, und er wusste alles über Abraham, Isaak und Jakob, als ginge er schon seit undenklichen Zeiten mit ihnen um.
    Sein Ruf als scharfer Geist erreichte auch jüdische Gemeinden außerhalb Amsterdams. Man erwartete, dass ihm eine große Zukunft als Rabbiner bestimmt sei.
    Eines Tages jedoch ereignete sich etwas Umwälzendes im Leben des Jünglings und veränderte seine Laufbahn.
    Michael Spinoza besaß eine der größten privaten Bibliotheken der Stadt. Hier fand

Weitere Kostenlose Bücher