Das Elixier der Unsterblichkeit
Verderben aus allen Stämmen Israels ausstoßen, mit allen Verurteilungen des Firmaments, wie es in diesen Gesetzen geschrieben ist. Und möget ihr, die ihr Gottes Verbündete seid, keinen Schaden davontragen!
Hütet euch: Niemand soll mündlich oder schriftlich mit ihm verkehren, niemand soll ihm den geringsten Dienst erweisen, niemand unter demselben Dach wohnen wie er, niemand ihm näher kommen als vier Ellen, niemand eine von ihm verfasste oder verfertigte Schrift lesen.«
FREIHEIT IN RIJNSBURG
Im September 1656 stieg Bento – nachdem er vom jüdischen Rat in Amsterdam verbannt worden war – heiteren Sinnes mit einer eilig gepackten Reisetasche die Treppe seines Elternhauses hinab. In der Eingangshalle warteten die Mutter, der Vater und die beiden Brüder. Der Vater legte ihm die Hände auf die Schultern und beteuerte, dass sie alle sich um sein Wohlbefinden sorgen würden. Die Mutter hoffte, dass er bald wieder zu Hause sein und das Ganze ebenso schnell vorübergegangen sein würde wie ein schlimmer Traum.
Der jüngste Bruder Isak, der dicklich, nervös und voller Kummer war, bekam einen Wutanfall: Er zerschlug einen Krug, der auf der Fensterbank stand, und schrie, es sei ungerecht. Er beruhigte sich auch nicht, als die Mutter ihn darum bat. Erst als der Vater ihn in die Wange kniff und fragte, wo seine Vernunft geblieben sei, kam er zur Besinnung.
Der ältere Bruder Benjamin, der wie ein Dichter sprach und Gott zu Gefallen formvollendete Sonettzyklen schrieb, versprach, ihm bald zu folgen, für sein Wohl zu sorgen und sein Weggefährte durchs Leben zu sein. Er erinnerte Bento daran, dass die Verbannung als ein Geschenk der Vorsehung zu betrachten sei, denn die Prüfungen des Exils sind auch für diejenigen, die ihrer Natur nach nicht besonders hervorragend sind, ein einzigartiger Ansporn zu Tugend, Mut und Kühnheit, Eigenschaften, die bei denen, die in Sicherheit und fern jeder Gefahr leben, nicht vorkommen. Dies hatte Benjamin bei dem großen Denker Maimonides gelesen.
Bento wurde verlegen, als beim Abschiedskuss das Haar der Mutter seine Wangen streifte. Der Vater fragte sich, ob sie einander jemals wiedersehen würden. Aber er sagte nichts. Er strich dem Sohn über den Kopf und half ihm in den wartenden Wagen. Jetzt verließ Bento zum ersten Mal in seinem Leben das heimatliche Viertel, und obwohl er seinen Eltern versprochen hatte, bald zurückzukehren, tat er es nie.
Die Reise nach Rijnsburg war eine Qual. Bento versuchte zu lesen, aber nach wenigen Minuten blickte er auf und beklagte sich im Stillen über die Federung des Wagens. Sie bereitete ihm Übelkeit. Mehrmals glaubte er, sich übergeben zu müssen. Dennoch verspürte er eine seltsame Freude, beinahe Heiterkeit.
In seiner Situation – gezwungenermaßen das Judentum, die Familie und die Geburtsstadt Amsterdam hinter sich zu lassen – hätte wohl jeder andere unsicher in die Zukunft geblickt, denn ein Mensch, der in dieser Welt nirgendwo zu Hause war, wurde als eine Beleidigung der gesunden Vernunft angesehen. Aber Bento fühlte sich eigentümlich frei von allen Bindungen, frei von der Zeit und dem Ort, in die er hineingeboren war, aber vor allem frei, selbständig zu denken.
Er liebte das Leben in Rijnsburg, obwohl er in einem nach Schimmel riechenden Keller wohnte. Er hielt akademische Vorlesungen über Gott, die einzig notwendig existierende Substanz, und betrieb intensive Studien, nicht nur in cartesianischer Philosophie. Er war interessiert an allem. Täglich maß er den Luftdruck, untersuchte das Wasser, die Erde und die Farbe des Himmels. Die Nachbarn hielten ihn für verrückt. Doch er wusste, dass ein frei denkender Geist sich daran gewöhnen musste.
BENJAMINS ENTREE
Eigentlich wollte Bento nicht, dass sein älterer Bruder ihm folgte. Er hatte sich in Benjamins Gesellschaft immer kontrolliert gefühlt. Mehrere Monate verweigerte er seine Zustimmung. Aber Benjamin war hartnäckig, sodass Bento in einem schwachen Augenblick nachgab – zumal er hoffte, dass am Ende doch nichts daraus werden würde.
Benjamin fand seinen Bruder am Boden kauernd, über Descartes’ Buch
Die Prinzipien der Philosophie
gebeugt, mager, mit eingesunkenen Wangen, schweißgebadet in der Sommerhitze, konzentriert auf pantheistische Gedanken, vollkommen unberührt von dem Durcheinander aus ungewaschenen Bechern, Tellern, Besteck und verschimmelten Essensresten, das ihn umgab. Die Luft im Zimmer war schwer wie in Pharaos Grabkammer. Der Staub auf dem
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