Das Elixier der Unsterblichkeit
Lebens. Am Nachmittag setzte er sich, um auszuruhen, unter eine Zypresse an der Landstraße, die verlassen in der Sonnenhitze dalag. Er nickte ein und erwachte davon, dass Fliegen über sein Gesicht krochen. Er sah einen alten Wanderer von Salamanca näher kommen. Der Mann ging langsam, nach vorn gebeugt und geduckt. Der Stock, auf den er sich stützte, war ein gebogener Ast, und seine Füße schlurften über den Boden. Staub bedeckte sein Gesicht, und sein weißer Bart war vom Wind zerzaust. Unter dem linken Arm trug er zwei große Steintafeln.
Baruch hob die Hand zum Gruß. Der alte Wanderer blieb einen Meter vor ihm stehen. Baruch fühlte, wie seine Haut brannte, als der Greis ihn ansah. Der Wanderer blickte in das schüchtern-ernste, fast traurige Gesicht des jungen Mannes, wie um sich zu versichern, dass er die richtige Person vor sich hatte.
Dann fragte er: »Bist du Baruch, der Sohn des Rabbis Judah, des Gesegneten?«
Baruch antwortete mit einem Nicken.
»Hör gut zu, was ich dir zu sagen habe«, fuhr der Mann fort und beugte sich vor, sodass sein zerfurchtes Gesicht dem des jungen Mannes ganz nahe kam.
Baruch spürte den warmen Atem des alten Wanderers und sah ihm tief in seine dunklen, bodenlosen Augen.
»Ich bin Moses, der Prophet der Juden. Ich kehre jedes tausendste Jahr auf die Erde zurück, um den Willen des Herrn zu verkünden. Was du glaubst oder nicht glaubst, ist gleichgültig. Befolge nur meine Worte. Morgen sollst du das Haus deines Vaters verlassen und nach Westen wandern. Der Herr will, dass du der Welt begegnest. Deine Reise wird lang sein und viele Prüfungen erwarten dich auf deinem Weg. Aber du wirst alle bestehen. Wenn du nur deinen Teil dieser Abmachung einhältst, wird der Herr seinen Teil einhalten. Du wirst dich fragen, was du zu tun hast. Du sollst die Zehn Gebote befolgen, die auf meinen Steintafeln eingeritzt sind, du sollst nach ihnen leben und eine jüdische Gemeinde gründen, aus der viele große Männer und Frauen hervorgehen und alle Enden der Erde erobern werden. Eines Tages wirst du das große Geheimnis finden, nach dem die Menschen seit Anbeginn der Zeiten gesucht haben. Dieses Geheimnis wird von deinen Kindern und Kindeskindern tausend Jahre lang gehütet werden. Solange deine Nachkommen ihre Verpflichtung einhalten, werden sie erhobenen Hauptes unter den Menschen auf der Erde wandeln, und der Herr wird über sie wachen. Wenn aber jemand den Willen des Herrn verrät, wird dein Geschlecht ausgelöscht werden von der Erde. Hast du verstanden?«
Der Greis wiederholte mit Nachdruck: »Hast du verstanden?«
Die Frage löste bei Baruch den kindlichen Impuls aus, mit einer Gegenfrage zu antworten: »Was geschieht, wenn ich mich weigere, meinen Vater zu verlassen?«
»Du hast meine Worte gehört.« Das Gesicht des Alten wurde hart, seine Stimme und sein Tonfall waren wie Eis, es klang wie eine unverhüllte Drohung. »Wenn du den Willen des Herrn verrätst, wird dein Geschlecht von der Erde ausgelöscht und du wirst die verbleibenden Tage deines erbärmlichen Lebens blind und kinderlos in Espinosa fristen.«
Baruch wusste nicht, was er glauben sollte. Waren die Worte des alten Wanderers wahr? Sollte er all dem Sonderbaren, das er gehört hatte, Glauben schenken? Er müsste seinen Vater fragen, der stets wusste, was wahr und was unwahr war, stets bereit, unnötige Zweifel auszuräumen und in allen Fragen Gewissheit zu erlangen.
In seiner Unschuld antwortete Baruch: »Ich muss wohl zuerst mit meinem Vater sprechen und hören, was er sagt …«
Der Alte unterbrach ihn brüsk: »Weder du noch deine Nachkommen dürfen jemals ein Wort über dies alles zu irgendeinem Menschen sagen. Nur der älteste Sohn in jeder Generation darf in das Geheimnis eingeweiht werden. So lautet die Abmachung. Der Allmächtige hat dir den Weg gezeigt. Füge dich seinem Willen.«
»Aber was ist denn das große Geheimnis? Enthülle es mir, Lieber. Sonst …«
»Du wirst das Geheimnis finden, glaube mir. Du findest es, wenn die Zeit reif ist.«
Der Greis sagte nichts mehr, er wanderte weiter. Baruch fand, dass er langsamer ging als eine Schildkröte. Es dauerte lange, bis er hinter einer Anhöhe verschwunden war.
Baruch wagte kaum zu atmen. Alles war still um ihn her, nicht der geringste Windhauch. Die Hitze war unerträglich. Plötzlich befielen ihn Kopfschmerzen, und eine dunkle Furcht stieg in ihm auf. Er fühlte sich verwirrt und konnte nicht mehr klar denken. War der alte Wanderer mit den
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