Das Elixier der Unsterblichkeit
ständiger Angst vor dem Meister, der im Zorn mit fürchterlichen Flüchen um sich warf. Zu allem Überfluss sprach Martes, ein riesenhafter Kerl mit schwarzem Schnauzbart und mächtigen Fäusten, nicht ungern dem Anisschnaps zu, und wenn er trank, war er eine wahre Geißel für seine Umgebung. Er suchte sich dann unter den Gehilfen einen Sündenbock aus und verfolgte ihn stundenlang mit Sticheleien und Beschimpfungen, zuweilen auch mit derben Fußtritten und Faustschlägen.
Da er von seinem Vater stets in hohem Maße beschützt worden war, empfand Baruch die Schmiede als eine kleine, glühende Hölle. Besonders schwer fiel es ihm, sich an die Feindseligkeit und das Misstrauen zu gewöhnen, die ihm entgegenschlugen. Anfangs glaubte er bei jeder Kränkung, die ihm widerfuhr, er bilde sie sich nur ein oder habe etwas missverstanden, weil er den Dialekt in Lissabon nicht gut genug beherrschte. Doch schließlich wurde ihm klar, dass den anderen seine Anwesenheit in der Schmiede offenbar ein Dorn im Auge war und sie sich wie ein feindlich gesinntes Gericht verhielten. Sie redeten nur in Ausnahmefällen mit ihm und schienen es zu genießen, in seinem Beisein verletzende Worte und verächtliche Kommentare fallen zu lassen. Dies alles geschah, ohne dass es Aufsehen erregte. Baruch schwieg und litt, denn wo hätte er Hilfe suchen sollen? Zumal der Meister der Auffassung war, niemand in der Schmiede habe zu klagen, solange nicht der halbe Kopf abgeschlagen war.
Einer der jungen Männer sagte Baruch ins Gesicht, der Priester auf der anderen Straßenseite habe sie alle schwören lassen, nicht mit ihm zu verkehren, weil die Juden Christus gekreuzigt hätten.
»Der Jude ist wie ein Aussätziger«, verkündete der Priester. »Kommt man mit ihm in Berührung, landet man in der Hölle. Armut, Pest und Unmoral, alles Unheil, dessen Sklaven wir auf dieser Erde sind, ist die Schuld des Juden.«
In dieser düsteren Zeit in der Schmiede wurde die Freundschaft mit dem ein Jahr älteren Lehrling Raimundo Baruchs einzige Zuflucht und einziger Trost. Raimundo war früh Waise geworden. Sein Vater, ein Glöckner, der auch als Totengräber arbeitete, hatte seine Mutter erschlagen, weil sie skandalöse Liebesaffären mit anderen Männern hatte – das behaupteten jedenfalls die Nachbarn –, und war nach Estremadura geflohen. Dort starb er kurz darauf eines eigenartigen Todes; ein wild gewordener Ochse quetschte ihn gegen ein Gatter und zertrampelte ihn. Raimundo meinte, es sei ein Gesetz Gottes, dass derjenige, der fremdes Blut vergossen hatte, am Ende in seinem eigenen Blut erstickte. Baruch hatte dazu keine Meinung.
Raimundo war kurzsichtig und blinzelte oft, was ihm ein geheimnisvolles Aussehen verlieh. Er hatte ein ebenmäßiges Gesicht mit schütterem Flaum unter dem Kinn. Er war stark wie ein Bär und konnte Steine heben, die über hundert Kilo wogen. Dabei war er außerordentlich geschmeidig und konnte spielend leicht zehn Meter auf den Händen gehen. Baruch bewunderte Raimundo sehr, der nie mit den Wölfen heulte, sondern Baruch verteidigte, wenn seine Quälgeister sich über ihn hermachten. Dazu bedurfte es zweifellos eines gewissen Mutes. Raimundo riskierte viel, und sein Eintreten für den Juden war für viele in der Schmiede eine Provokation. Er zog sich die Verachtung der anderen zu und verlor seine früheren Freunde.
An den Abenden, wenn die Lehrlinge sich in dem dunklen, nach Schweiß und Urin stinkenden Keller ausgestreckt hatten, pflegte Isidoro, der älteste unter ihnen, die anderen mit schwülstigen Erzählungen über seine Abenteuer mit den schönsten Frauen Lissabons zu unterhalten. Die Lehrlinge genossen seine saftigen, wenn auch nicht ganz wahrheitsgemäßen Geschichten und konnten nicht genug davon bekommen. Nur Raimundo und Baruch, die eine schmale Pritsche teilten, hatten anderes im Sinn als die Frauenkörper, mit denen Isidoro die Phantasie der Lehrlinge ins Wallen brachte. Sie fühlten eine seltsame Begierde in sich aufsteigen, eine Begierde, die sich ihrer Kontrolle entzog. Wenn sie sicher waren, dass die anderen im Keller eingeschlafen waren, streichelten sie einander. Raimundo war stets einen Schritt voraus und ließ seine Hände über Baruchs Penis gleiten. Die zärtliche Berührung seines Freundes ließ Baruch für eine Weile die stinkende Schmiede vergessen.
Sie hatten sich feierlich versprochen, ihr Geheimnis für sich zu behalten. Keiner von beiden ahnte, dass Isidoro oft nur so tat, als schliefe er,
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