Das Elixier der Unsterblichkeit
Schmerzen nicht lindern können.
»Den letzten Anfall hatte ich vor fünf Tagen«, erzählte er, »und ich habe mich noch immer nicht erholt.«
Avraham versicherte dem Bürgermeister, dass er ihm helfen, ja, ihn sogar heilen werde. Dies sollte mit Hilfe der geheimen Alchemie geschehen, die in Paris hoch im Schwange sei. Zuerst musste der Bürgermeister unter Eid versprechen, nie ein Wort über die Art und Weise der Behandlung zu äußern. Danach las Avraham eine Reihe hebräischer Beschwörungen und entzündete ein Räucherwerk aus allerlei Kräutern. Sodann nahm er eine kurze Berechnung der Planetenkonjunktion vor und konstatierte, die Schmerzen beruhten darauf, dass Dämonen sich in Gorells Körper eingenistet hätten.
Er zeichnete einen magischen Kreis um den Bürgermeister, schwenkte ein Räuchergefäß, das nach Kampfer duftete, und versuchte mit schweren Seufzern, die bösartigen Wesen auszutreiben. Er schwitzte, murmelte unzusammenhängende Phrasen und nötigte den Patienten, ein halbes Glas Rotwein zu trinken, in welchem drei Unzen gemahlener Mohnsamen über Nacht gelegen hatten.
Erschöpft erklärte er, dass zwei ägyptische Krankheitsdämonen, Selbebuth und Osirusis, den geplagten Körper verlassen hätten.
Die Behandlung wurde damit abgeschlossen, dass er einige hebräische Worte rückwärts aussprach: »Churab ata janoda, unjehole chelem mal.«
»Wie schön Sie das formulieren, Doktor«, stieß Gorell aus, verblüfft über die Energie, die ihn plötzlich erfüllte. Diese Behandlung war phantastischer als alles, was er in fünf Jahren in den Schlammbädern von Jefferson erlebt hatte.
Bei der nächsten Sitzung verband Avraham Gorell die Augen. Er erklärte, die Behandlung, die er ihm zuteilwerden lasse, sei in keinem medizinischen Werk zu finden, weil sie geheim und nur für Personen königlichen Geblüts vorgesehen sei.
»Sie baut auf dem Studium eines bislang unbekannten Teils unseres Organismus auf«, erklärte er, »und hat mit dem Verhältnis der Himmelskörper zu der verborgenen inneren Struktur des Menschen zu tun.«
Er vollführte hinter dem Rücken des Bürgermeisters eine Reihe langsamer Bewegungen, die er magnetisches Streichen nannte. Er mache damit, sagte er, die Muskulatur empfänglich für die heilende Wirkung der planetarischen Kräfte.
Gorell begriff nichts von der Suada des Arztes und konnte auch nicht sagen, dass seine Schmerzen geringer wurden. Aber er fühlte sich geschmeichelt und auserwählt, er, ein Mann von einfacher Herkunft, ein Bauernsohn aus Bordeaux, der in frühen Jahren in die Kolonie Neufrankreich gekommen war, wurde der gleichen Behandlungsmethode teilhaftig wie die Könige Europas.
Mit Gebärden, die der Übergabe eines kostbaren Geschenks anstanden, überreichte Avraham dem Bürgermeister einen handgeschriebenen Zettel. »Diese beiden Sätze müssen zehnmal täglich laut gelesen werden, fünfmal am Morgen und fünfmal am Abend beim Zubettgehen«, befahl er.
Gorell blickte erwartungsvoll auf den Zettel. »Mein Name ist falsch geschrieben«, entfuhr es ihm. Er war etwas gekränkt. »Gorell schreibt man mit zwei l, nicht mit drei.«
Avraham musterte ihn streng. Der Bürgermeister erkannte, dass er sich eines Fehltritts schuldig gemacht hatte. »Es sieht vielversprechend aus, Doktor«, sagte er ängstlich, um seinen Kommentar rasch zu übertünchen.
Die verschiedenen Kuren wurden intensiviert. Gorell kam täglich. Das Austreiben der Dämonen erforderte Zeit und Geduld. Oft musste der Bürgermeister bis zu drei Stunden mit verbundenen Augen dasitzen, während Avraham hinter seinem Rücken eine komplizierte Bewegungsabfolge ausführte – doch ohne ihn zu berühren. Während dieser Zeit führten die beiden Männer lebhafte Gespräche über Weizenpreise und Konjunkturen, stöhnten über die unerträgliche Hitze und die Dummheit der französischen Politiker, das Territorium östlich des Mississippi in die Hände der Briten fallen zu lassen. Avraham lobte alle Beschlüsse des Bürgermeisters, so einfältig sie auch erscheinen mochten.
Gorell war stets guter Laune, er lächelte, lachte auch polternd und erleichterte seine Bürde. Schritt für Schritt weihte er Avraham in seine lichtscheuen politischen Affären, ja sogar in Einzelheiten seiner privaten Finanzen ein. Er erzählte auch, dass er fünf Jahre nach ihrem Tod noch immer um seine Frau trauere; eine Fischgräte war ihr im Hals stecken geblieben, und sie war erstickt. Gorell fand – auch wenn die Gicht ihn
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