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Das Elixier der Unsterblichkeit

Das Elixier der Unsterblichkeit

Titel: Das Elixier der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Gleichmann
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Zauberei zu schützen vermochten. Aber die Menschen in den lärmenden Gassen lebten in großer Armut, und das Geschäft brachte ihm nicht viel ein. Abends schlief er häufiger hungrig als mit vollem Magen ein.
    Dieses unstete Dasein hätte vielleicht sein ganzes Leben angedauert, wenn nicht die Frau eines reichen Mestizen in Caracas eine Missgeburt zur Welt gebracht hätte, ein Wesen mit Fledermausflügeln statt Armen und zwei Hörnern auf der behaarten Stirn. Dies geschah, nachdem Avraham – gegen eine Bezahlung von fünfzehn Silberpesos – eine Woche lang täglich in der Dämmerung mit den Händen über den Bauch der Schwangeren gestrichen und dabei einen uralten Segen heruntergeleiert hatte, der das Kind gegen den bösen Blick schützen sollte. Der Ehemann der Frau ließ Avraham festnehmen und lieferte ihn an das Tribunal der Dominikaner in der Stadt aus, damit er als Ketzer verurteilt würde. Als man im Gefängnis entdeckte, dass Avraham beschnitten war, hielt man dies für das Zeichen von Abtrünnigkeit und eines ernsten Verbrechens. Der Ankläger des Heiligen Amtes war der Ansicht, dass es als Beweis der Schuld des Angeklagten vollständig ausreichte, weshalb er darauf verzichtete, die Sache zu untersuchen und Zeugen zu vernehmen.
    Avraham lauschte aufmerksam, als das Urteil verlesen wurde. Er wurde zum Tode verurteilt, weil er die Taufe entweiht hatte, indem er sich hatte beschneiden lassen, an verbotenen Tagen Fleisch gegessen, an Feiertagen gearbeitet, den Sabbat und andere jüdische Festtage eingehalten, mit dem Teufel Gespräche geführt und Umgang gepflegt und zu guter Letzt unter dem Vorwand, Krankheiten heilen zu können, sich die Silbermünzen gläubiger Christen angeeignet hatte.
    Avraham gestand sein Verbrechen und akzeptierte stoisch das Urteil, er versprach sogar, in der Hölle den heiligen Glauben und die Sitten der Christen eifrig zu befolgen, wenn er nicht in Eisen geschlagen und gefoltert würde.
    Im Morgengrauen des Tages, an dem er auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden sollte, überredete er einen Mitgefangenen – einen buckligen Mann, der zu einem Jahr in Ketten verurteilt worden war, weil er zwei trauernde Frauen auf einem Friedhof vergewaltigt hatte –, die Seile um seine Hand- und Fußgelenke durchzubeißen. In einem unbewachten Augenblick türmte er aus dem Gefängnis und floh nach Norden, um drei Monate später in Louisiana aufzutauchen, an der amerikanischen Südküste, wo ein großer Teil der Bevölkerung Französisch sprach.
    Er nannte sich Armand Seigneur und gab sich als gefeierter Pariser Arzt aus, der bei Hof gedient und beispielsweise Ludwig XV. von der Gicht geheilt habe. Er trat selbstsicher auf, und keiner fragte ihn nach seiner Ausbildung oder nach einer Erlaubnis, eine Arztpraxis zu betreiben.
    Ohne einen Cent in der Tasche mietete er ein großes Haus mitten in New Orleans. Er verwandelte den Wohnraum in ein Sprechzimmer und ein siedendes Laboratorium. Es dampfte aus Reagenzgläsern, Flüssigkeiten brodelten, und ein beißender Geruch von Quecksilber lag in der Luft. Er tat lautstark kund, er sei Spezialist für ungewöhnliche Gebrechen. Dagegen weigerte er sich, offene Wunden zu behandeln, ganz einfach deshalb, weil er Angst vor Blut hatte. Er gewann das Vertrauen der Patienten, indem er ihnen anschaulich von früheren Heilerfolgen erzählte. Mit seinen die Phantasie anregenden Geschichten aus Versailles düpierte er alle. Bald verbreitete sich der Ruf des königlichen Doktors über ganz New Orleans. Die Nachfrage nach seinen eigenwilligen Behandlungsmethoden war groß.
    Patienten mit dicken Brieftaschen waren rund um die Uhr willkommen und wurden stets mit äußerster Freundlichkeit und Fürsorglichkeit behandelt. Der Gedanke, arme Menschen, die seine Dienste nicht angemessen bezahlen konnten, als Patienten anzunehmen, sagte dem Doktor nicht zu. Er begegnete ihnen mit Misstrauen und tat ihre Beschwerden oft als Einbildung ab.
DIE GICHT DES BÜRGERMEISTERS
    Eines Tages kam der Bürgermeister in die Sprechstunde. Gaspard Gorell stand im Ruf, ein korrupter Mann ohne Rückgrat zu sein. Er wurde in New Orleans allgemein verachtet, weil er von den Sklavenhändlern, die die gesetzlose Stadt in Wahrheit regierten, Bestechungsgelder annahm.
    Gorells Augen glühten und er schrie vor Schmerz. Er litt an der Gicht. Um Linderung von den quälenden Anfällen zu finden, besuchte er regelmäßig die Schlammbäder in der Vorstadt Jefferson. Doch in diesem Fall hatte man dort die

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