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Das Elixier der Unsterblichkeit

Das Elixier der Unsterblichkeit

Titel: Das Elixier der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Gleichmann
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Arbeitstag, wenn er sein Werkzeug weggepackt hatte, lauschte er oft der Orgelmusik in der Kapelle. Er konnte eine Stunde oder zwei dasitzen, ohne sich zu rühren, als wäre er tief ins Gebet versunken.
    Avraham war im Kloster beliebt. Die Brüder lobten ihn für seinen Arbeitswillen und sein bescheidenes Wesen. Selbst der Abt, ein ziemlich barscher Mann, fasste Sympathie für ihn.
    Eines Tages erwähnte Avraham dem Abt gegenüber, dass er sich vor seiner Zeit im Kloster Geschäften gewidmet habe. Er sprach auch von verschiedenen Möglichkeiten, wie das Kloster seine Einnahmen steigern könne. Einige Zeit darauf schenkte er dem Abt ein großes selbstgeschnitztes Holzrelief, das Jesu Leiden auf Golgatha darstellte. Der Abt war sehr beeindruckt, besonders als er die Arbeit genau betrachtete und feststellte, welche Exaktheit und Geschicklichkeit erforderlich gewesen waren, um das Bild zu schnitzen.
    Der Abt erkannte, dass Avraham kein gewöhnlicher Mönch war und es von Vorteil sein konnte, ihn enger an sich zu binden. Zunächst durfte Avraham dem Abt hin und wieder einen einfachen Rat erteilen. Aber nachdem er Gewissenhaftigkeit und Scharfsinn unter Beweis gestellt hatte, wurde er mit der Verwaltung der klösterlichen Finanzen betraut.
    Wie um Voltaires schlimmste Befürchtungen wahr werden zu lassen, wurde Avraham eines Tages wegen Veruntreuung von Klostergeldern gefasst, ein Verbrechen, das er heftig abstritt.
    Er kam ins Gefängnis.
    Die verzweifelte Mutter wandte sich an Voltaire. Obwohl Avrahams Leid den Philosophen unberührt ließ, zeigte er Großmut und erwies Madame Spinoza einen Dienst. Durch seine Kontakte bei Hofe – zeitweilig war er der Vertraute der Königin – sorgte er dafür, dass die Anklage gegen Avraham fallengelassen und er auf freien Fuß gesetzt wurde. Voraussetzung war allerdings, dass er Paris unverzüglich verließ.
MORICZ UND DAS FAMILIENERBE
    Es gab Augenblicke in meiner Kindheit, da glaubte ich nicht, dass das Leben lebenswert sei. Es geschah meistens dann, wenn ich die Liebe meiner Eltern suchte. Ich wollte, dass sie mich sähen und liebten, so wie ich war, ohne dass ich mich verstellen und einschmeicheln müsste. Aber ich erlebte immer wieder, dass sie meinen Zwillingsbruder lieber mochten.
    Nichts kann sich mit dem Schmerz messen, sich als Kind von seiner Mutter und seinem Vater nicht geliebt zu fühlen.
    Ich erinnere mich an die freudestrahlenden Gesichter meiner Eltern, wenn Sasha am Ende eines Schuljahres mit seinem guten Zeugnis erschien. Er gab ihnen reichlich Gelegenheit, stolz zu sein. Ich selbst hatte in der dritten Klasse eine Fünf in Mathe und Geschichte, und der strenge Rektor erklärte meinen Eltern, die mit missbilligenden Mienen zuhörten, dass es das Beste sei, wenn ich das Jahr wiederholte. Die Scham über mein Versagen war so groß, dass ich es nicht ertrug, den unzufriedenen Blicken meiner Eltern zu begegnen. Später am Abend wurde ich von Vater kräftig gescholten; er war wütend auf mich, weil ich Mutter Kummer bereitet und ihre schwachen Nerven noch weiter strapaziert hatte.
    Jetzt, da ich mich dem Ende meines Lebens nähere, muss ich zugeben, dass ich nie über die Vorwürfe hinweggekommen bin, die Vater mir machte, weil ich in puncto Intelligenz nicht so ausgestattet war, wie es einem Spinoza ansteht.
    Als mein Großonkel eines Tages von Avrahams Abenteuern in der Neuen Welt erzählt hatte, kam mir eine Idee. Ich fragte Großvater, was er von den charakteristischen Zügen hielt, die sich in jeder Generation unserer Familie zeigten.
    Er wirkte nicht im Geringsten verwundert und sagte: »Du hast zu viel auf Sashas Nase gestarrt. Mach dir keine Sorgen, auch aus dir wird ein anständiger Kerl – selbst wenn du die kleine Stupsnase deiner Mutter geerbt hast. Glaub mir. Ich muss dich wohl darüber aufklären, dass nicht alles, was Fernando in seinen Legenden erzählt, auch in der Wirklichkeit eintreten muss. Du lügst manchmal und machst Dummheiten. Wer tut das nicht ab und zu? Alle Menschen können unbedacht sein und falsch handeln. Die Vernünftigen lernen aus ihren Fehlern, während die Dummen weit und breit davon erzählen. Denk daran, dass ein guter Ruf häufig zu größeren Teilen auf dem beruht, was man verschweigt, und nicht auf dem, was man tatsächlich tut.«
    Großvaters Worte machten mir Hoffnung. Vielleicht war ich trotz allem nicht zu ewiger Verdammnis verurteilt? Ich fühlte mich ein wenig erleichtert, wenn auch nicht restlos.
    »Du weißt vielleicht,

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