Das Elixier der Unsterblichkeit
nicht zum Schweigen bringen. Sie sehnte sich täglich und stündlich danach, Voltaires Frau zu werden.
IM SCHATTEN DES BIRNBAUMS
Mit Entzücken sah Voltaire seinen Schützling im Schatten eines hundertfünfzig Jahre alten Birnbaums am Schloss Ferney nahe der Schweizer Grenze sitzen und das Energieprinzip studieren. Es war eine glückliche Zeit in seinem Leben, der Frühsommer 1768. Mit dem Schloss verbunden war der Grafentitel. Graf Voltaire, der schon lange nicht mehr in aufreibende Fehden verwickelt gewesen war, hatte alle bitteren Zwistigkeiten vergessen. Er saß in einer idyllischen Ecke Frankreichs. In seinem Kampf für Aufklärung und Toleranz hatte er achtzehn neue Artikel für die revidierte fünfte Auflage des tragbaren
Philosophischen Wörterbuchs
verfasst, das inzwischen recht geräumige Taschen voraussetzte, wenn man es bei sich tragen wollte. Er war berühmt und wurde respektiert. Er war vital und von Gebrechen glücklich verschont. Sein Vermögen verwaltete sich selbst. Nachts kam es vor, dass er aus dem Schlaf erwachte und von einem Glücksgefühl erfüllt war. Er hatte alles erreicht, wovon er geträumt hatte. Nichts bedrohte seinen Frieden.
Am Tag vor dem Mittsommerfest ging Voltaire in den Garten und pflückte einen Arm voll Blumen, die er Shoshana reichte. Zum Abendessen ließ er ein delikates Nierensauté servieren, dazu einen erlesenen Wein aus der Gegend, um zu feiern, dass sie ihre Abhandlung über die Energie bewegter Körper fertiggestellt hatte. Begleitet vom Klirren der geschliffenen Kristallgläser gab er noch einen weiteren Beweis seines Wohlwollens, als er versprach, Shoshanas Arbeit beim Vorsitzenden der Wissenschaftsakademie in Paris zur Sprache zu bringen, dem renommierten Professor Jean-Baptiste Ferry, sodass sie publiziert und im Herbst auf dem jährlichen Treffen des Physikerverbunds diskutiert werden konnte.
Bevor Voltaire Kontakt mit Professor Ferry aufnahm, wollte er jedoch einige Punkte, die ihm verbesserungswürdig vorkamen, korrigieren und Argumentationen, die schwach begründet schienen, verstärken. Er beeilte sich, hinzuzufügen, dass er nicht beabsichtige, die Schärfe ihrer Gedanken zu verringern. Die Abhandlung sei einzigartig. Doch ein geschriebener Text könne stets noch ein wenig verbessert werden.
Shoshana spürte tiefe Dankbarkeit. Eine innere Stimme riet ihr jedoch dazu, höflich, aber bestimmt Voltaires kritische Durchsicht des Textes abzulehnen. Sie war ihrer Sache sicher, sie wusste, dass ihre Beobachtungen und Schlussfolgerungen unangreifbar waren. Außerdem war es ihre Arbeit, die sie auch allein verantworten wollte. Aber sie wagte nicht, ihren Vormund zu kränken, indem sie seine Hilfe ablehnte. Stattdessen wechselte sie das Thema und brachte wieder einmal Émilie zur Sprache.
Voltaire wurde von Wehmut ergriffen, als er von seiner früheren Lebensgefährtin erzählte. Seine Augen waren in die Ferne gerichtet. Nach all diesen Jahren konnte er noch immer Émilies Stimme in sein Ohr flüstern hören. Shoshana hörte aufmerksam zu. Sie suchte nach der kleinsten Einzelheit in Voltaires Erzählung, die von ihr selbst handelte.
DER ATEM DER NACHT
Als Shoshana zu Bett gegangen war, spürte sie durchs offene Fenster den warmen Atem der Nacht auf ihrer Haut. Dies weckte, in Verbindung mit dem samtigen roten Wein, in ihrem jungen Körper eine wollüstige Ekstase, jenseits aller Wörter und Begriffe, anders als alles, was sie je empfunden hatte.
Sie wusste, dass die warmen Ströme der erwachenden Sinnlichkeit gefährlich waren und zu Torheiten führen konnten. Gleichwohl streckte sie die Fingerspitzen aus und rührte an ihre linke Brustwarze. Sie erschauerte und bekam Gänsehaut am ganzen Körper, so stark war das Lustempfinden. Sie schloss die Augen, stellte sich Voltaires Hände vor, erfahren, wunderbar, vollendet, wie sie ihren nackten Körper berührten. Sie zitterte vor Erregung.
Sie war sich darüber im Klaren – denn das hatte Carlos Fellici, der Kardinal in Genf, der häufig zu Besuch kam, ihr zu wiederholten Malen gesagt –, dass Sünder unausweichlich in der Hölle landen. Aber sie wusste auch – das hatte der große Philosoph sie gelehrt –, dass alle Menschen, ungeachtet ihres Ranges, Geschlechts und Alters, das Recht haben, glücklich zu sein.
Also ließ sie, ohne Bedenken oder Gewissensbisse, ihren Körper handeln und suchen, finden und nehmen, was er haben wollte. Sie war besessen von Voltaires männlicher Kraft, seiner Integrität, seiner
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