Das Elixier der Unsterblichkeit
wichtig es sei, dass französische Physiker wissenschaftliche Fortschritte frei von Vorurteilen und Gewohnheitsdenken untersuchten.
An den misstrauischen Blicken der vier Physiker konnte Shoshana sogleich ablesen, dass sie auf harten Widerstand stoßen würde. Die distinguierten Herren warteten nur darauf, einen Grund zu finden, um ihre Arbeit abzufertigen. Und sie gab ihnen sogleich einen guten Anlass.
Baptiste de Gendre war der Nestor unter den vier Physikern, somit war es sein Privileg, die Befragung Shoshanas einzuleiten. Ohne allzu großes Feingefühl fragte er direkt heraus, ob das junge Fräulein vor Gott dem Allmächtigen schwören könne, alle Berechnungen selbst vorgenommen und den Aufsatz selbst geschrieben zu haben, dass es sich nicht etwa um ein Werk Voltaires handle.
Der große Philosoph war gekränkt und protestierte sogleich. Er betonte mit Nachdruck, derartige Insinuationen seien in seriösen wissenschaftlichen Debatten fehl am Platze. Doch Ferry wies seinen Einwand ab.
Shoshanas Gesichtsausdruck verriet, wie peinlich ihr dieser Wortwechsel war. Sie wurde blass und blickte zu Boden. Offensichtlich fand sie es unangenehm, Baptiste de Gendre in die Augen zu sehen. Alle im Saal warteten gespannt auf ihre Antwort.
Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis sie zu sprechen begann. »Ich muss leider von einem solchen Schwur Abstand nehmen«, sagte sie leise. »Für mich ist dies eine Gewissensfrage.« Sie erklärte, sie habe sich berufen gefühlt, ihr Leben der Entdeckung verborgener Zusammenhänge in der Natur zu widmen, sie wolle mit Hilfe der Wissenschaft Wahrheiten erforschen und verstehen, wie die Welt funktioniere.
»Die bedeutendste Ressource eines Forschers ist ein kritischer Sinn«, stellte sie fest. »Es geht darum, nicht den Vorurteilen und Lieblingstheorien seiner Zeit anheimzufallen. Deshalb bin ich skeptisch gegenüber den grandiosen Erklärungen der Welt, gegenüber Modellen, die auf alle Fragen antworten und alle Probleme lösen. Das sollten wir alle sein.«
Sie machte eine kurze Pause und blickte sich im Saal um. »Keiner Wissenschaft ist damit gedient, dass man einen unbekannten Gott in ungestörter Hegemonie belässt. Für mich ist Gott kein König der Könige, der auf eine bevorzugte Rolle im Reich des Wissens Anspruch erheben kann. Für mich ist Gott nur ein Wort, und ich kann nicht bei etwas schwören, an das ich nicht glaube.«
Baptiste de Gendre griff sich an den Kopf und stieß hervor: »Kein Mensch, vor allem kein seriöser Wissenschaftler, kann die Existenz des Schöpfers der Natur verneinen …«
Shoshana ließ ihn nicht ausreden, sondern entgegnete: »Kein Wissenschaftler kann so blind sein zu behaupten, unser Wissen über Gott sei wissenschaftlich begründet.«
Pierre Delpech, der wichtige Beiträge zum Verständnis des Magnetismus geliefert hatte, entgegnete: »Mademoiselle Spinoza ist vermessen genug zu glauben, sie könne Newtons Theorie von der Energie korrigieren. Das lässt auf jugendliche Verirrung und reine Unvernunft schließen. Aber Gottes Existenz zu verneinen ist ein Verbrechen. Dafür sollte sie bestraft werden.«
Alain Gaillard, der jüngste der vier Physiker, schien die Fassung zu verlieren. Er stand auf, hob drohend den Zeigefinger gegen Shoshana und schrie empört, die Jüdin stelle die Grundlage der gesellschaftlichen Ordnung und die souveräne Macht des Königs in Frage und müsse in die Bastille geworfen werden. Dann konstatierte er, etwas ruhiger, doch in beleidigendem Ton, dass die Person, mit der der Physikerverband es hier zu tun habe, kein Wissenschaftler sei, sondern eher eine jüdische Hexe.
Die anderen Physiker lächelten sich zu. Aus dem Publikum war Applaus zu hören, aber auch vereinzeltes Pfeifen. Voltaire schüttelte den Kopf, bebend vor Empörung.
Shoshana wusste, dass dies das Ende war. Sie fühlte sich hilflos und hörte eine innere Stimme sagen: »Du wirst nie Zugang zur Welt der Wissenschaft erhalten.« Sie erkannte, dass sie den Gesetzen älterer Männer unterworfen und von vornherein verurteilt war – weil sie jung war, weil sie eine Frau war, weil sie Jüdin war. Aber in erster Linie, weil sie es wagte, eine überkommene Wahrheit in Frage zu stellen. Alles kam ihr aussichtslos vor, und sie verstand auf einmal – obwohl sie eben noch geglaubt hatte, an der Schwelle eines neuen Lebens zu stehen –, dass sie wohl den Gedanken an diese Laufbahn aufgeben müsste.
Der Vorsitzende Ferry fand, Alain Gaillard habe seine Attacke
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