Das Elixier der Unsterblichkeit
können. Er wurde bedrückt und sah unerträglich konkrete Bilder vor sich, wie sie ihre Freiheit nutzen würde.
Bevor er noch tiefer in schmerzliche Gedanken versinken konnte, traf ein zweiter Bote ein, diesmal aus der Hofburg. Jetzt mischte sich auch der Kaiser in die Angelegenheit ein. Rudolf wurde einbestellt, um eine Erklärung für sein Verhalten im Theater zu geben.
»Früher ließen junge Prinzen sich nicht dazu hinreißen, distinguierte ältere Fürsten zu verprügeln«, stellte Seine Majestät fest. Und er fragte herausfordernd: »Hat dieses nicht zu akzeptierende Verhalten etwas mit deiner Persönlichkeit zu tun, junger zu Biederstern? Mir sind schon mehrere unerfreuliche Vorfälle zu Ohren gekommen.«
Rudolf war ruhig, zumindest gab er sich den Anschein. Er räumte ein, sein Gebrauch von Gewalt habe einen Mangel an Höflichkeit erkennen lassen. Er bedauerte auch, die Theatervorstellung gestört zu haben. Aber er zeigte keinerlei Reue hinsichtlich der Misshandlung des Fürsten. Ein Mann hat das Recht, zu verteidigen, was ihm gehört. Er liebte Arabella, und der alte Bock wollte sie ihm abspenstig machen. Es gab keinen Grund, Schuldgefühle oder Gewissensbisse zu haben.
»Eifersuchtsdramen«, entgegnete der Kaiser, »hättest du uns ersparen können. Junger Prinz, die Frauen in Wien sind scheinheilig und kokett. Sie wissen, wie man Männer quält. Nicht mehr und nicht weniger. In Budapest ist es anders. Dort begegnete ich in meiner Jugend einer wunderschönen ungarischen Gräfin. Sie konnte das Blut eines jeden Mannes zum Kochen bringen. Aber sie war furchtsam und zurückhaltend, wie eine gute christliche Frau es sein soll. Nicht wie deine Frau. Alle kennen ihren Hintergrund. Und ich habe im Theater mit eigenen Augen gesehen, wie sie sich kleidet. Ihr Dekolleté spottet jeden Anstands. Du solltest deine Mutter bitten, sie Schicklichkeit zu lehren.«
Rudolf fühlte plötzlich, dass er seine Blase leeren musste. Das machte ihn nervös, und er verlagerte sein Körpergewicht von einem Fuß auf den anderen, während seine Hände zu zittern begannen. Er wurde von zunehmender Panik ergriffen, die er nicht mehr verbergen konnte.
Er unterbrach den Kaiser: »Majestät, entschuldigt, dass ich dies sage, aber es kommt mir so vor, als hättet Ihr nie geliebt. Majestät scheinen nicht zu verstehen, was Arabella für mich bedeutet. Und Majestät, versucht nicht, meine Mutter Einfluss auf meine Ehe nehmen zu lassen.«
Der Kaiser hob die Augenbrauen und warf Rudolf einen eiskalten Blick zu. Er war nicht daran gewöhnt, auf mangelnden Respekt zu stoßen. Kein Untertan hatte sich jemals einen derartigen Ton erlaubt. Ferdinand ertrug es nicht, dass der Sohn seines verstorbenen Freundes sich diese Frechheit herausnahm. Auch wenn der junge Mann sogar mit ihm verwandt war.
Eine halbe Minute später, nachdem der Kaiser ihm befohlen hatte, augenblicklich das Schloss zu verlassen, stellte sich Rudolf hinter eine Tür im angrenzenden Imperialsalon und urinierte, wobei er zugleich einen krachenden Furz fahren ließ. Der überraschte Lakai, der ihn aus der Hofburg eskortieren sollte, musste sich zusammenreißen, um nicht handgreiflich zu werden und sich auf den unverschämten Prinzen zu stürzen.
Kaiser Ferdinand, ein Melancholiker von schwacher Konstitution, der häufig epileptische Anfälle hatte, war nicht in der Lage, Österreich zu regieren. Alle wussten es. Er machte stets einen Umweg um das Strategiezimmer, in dem über das Schicksal seines Reiches bestimmt wurde. Das Land wurde von einem vierblättrigen Kleeblatt regiert, das aus den Erzherzögen Ludwig und Franz Karl, Fürst von Metternich und Graf Kolowrat bestand. Der Kaiser hingegen umgab sich mit Glanz und Gloria, arrangierte einen pompösen Empfang nach dem anderen und tauschte mit seinen Adjutanten Klatsch aus.
Die mächtigen Männer in der Staatskonferenz hielten den Vorfall für eine ausgezeichnete Gelegenheit – da aufrührerische Handlungen sich selbst in mondänen Kreisen auszubreiten begannen, ohne dass man Repressalien befürchtete –, ein kraftvolles Zeichen zu setzen. Sie betonten, der Kaiser toleriere keinerlei Handlungen, die darauf abzielten, die österreichische Gesellschaftsordnung zu untergraben. Es wurde beschlossen, dass Kaiser Ferdinand als Bewahrer der moralischen Werte der alten Zeit in Erscheinung treten müsse.
»Ordnung muss sein«, erklärte Erzherzog Ludwig. »Niemand darf ungestraft in einen kaiserlichen Salon pissen.« Dann
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