Das Elixier der Unsterblichkeit
wurde.
Doch an einem der ersten aufblühenden Sommertage leitete Franz Joseph eine Militärkampagne gegen die aufrührerischen Untertanen in dem ausgedehnten Reich ein, ohne sich von christlicher Barmherzigkeit hindern zu lassen.
Besonders hart waren die Kämpfe im revoltierenden Ungarn, wo der Kaiser den kroatischen Befehlshaber Josip Jelacic mit seinem vierzigtausend Mann starken Heer einsetzte, die ihm die Treue geschworen hatten. Die Kroaten hatten siebenhundertfünfzig Jahre lang unter der Fuchtel der Ungarn gelebt. Sie hassten die Magyaren, die den Nachbarn ihre Sprache und ihre Kultur aufzwingen wollten. Zum ersten Mal erlebten die Söhne Kroatiens glänzende Erfolge. Das Blut floss in Strömen, die Wiesen waren mit Leichen übersät und alles, was den Kroaten in den Weg kam, wurde zerstört: Häuser, Brücken, landwirtschaftliche Güter, Bewässerungsanlagen.
Ein Jahr später war die Ordnung wiederhergestellt. Der Kaiser hatte seine Stärke demonstriert und das Ansehen des Hofes gestärkt. Im Reich herrschten Frieden und Schweigen.
Mein Großonkel hatte keine hohe Meinung von Franz Joseph. Deutlich war die Ironie in seinen Worten: »Seine Majestät war wie ein Vater für uns.«
Denn fast sieben Jahrzehnte war ganz Mitteleuropa von allen Seiten von Franz Joseph umzingelt, dem mächtigen Garanten der Unveränderlichkeit. Er wuchs an allen Horizonten herauf, aus allen Winkeln und Ecken tauchte sein allgegenwärtiges Profil auf, er sicherte die Doppelmonarchie wie ein Gefängnis.
Der Kaiser stahl mehrere Jahre von Fernandos jungem Leben, und letzten Endes war er auch daran schuld, dass Nathan Spinoza mein Großvater wurde.
DAS BEGRÄBNIS
Über Arabellas Schicksal nach dem Abend im Hofburgtheater ist wenig bekannt. Ihr Verhältnis mit Schwarzenberg dauerte nur wenige Monate. Als sie nicht mehr verheimlichen konnte, dass sie schwanger war, wurde sie vor die Tür gesetzt. Das Mädchen, das sie gebar, überließ sie einem älteren Bruder. Danach lebte sie für kurze Zeit bei einem gealterten Baron, der im Ruf stand, ein sadistischer Tyrann zu sein. Nachdem sie ihn verlassen hatte, ging sie keine feste Beziehung mehr ein, sondern vergnügte sich mit Männern von weniger mondänem Schlag.
Arabellas Zeit währte nur so lange, wie ihr rabenschwarzes Haar seinen Glanz behielt und ihre Haut glatt war. Danach stürzte sie ab und landete in den ärmeren Vierteln Wiens.
An einem Frühlingstag, eine Woche vor ihrem siebenundzwanzigsten Geburtstag, starb sie an Blutvergiftung. Man munkelte, eine ältere Frau, die über keine Fertigkeiten auf dem Gebiet der praktischen Medizin verfügte, habe eine Abtreibung bei ihr vorgenommen. Das Gerücht erstaunte niemanden.
Sie wurde, ihrem letzten Willen entsprechend, in ihrem Brautkleid auf einem Armenfriedhof am Stadtrand von Wien begraben. Nur zwei frühere Kolleginnen aus dem Salon Rouge und eine verwirrte ältere Frau, die Arabella nicht kannte, aber allen Beerdigungszügen folgte, gaben ihr das letzte Geleit. Es war wohl ein Glück, dass die etwas betagten Huren erschienen waren, denn der Priester wollte keine Trauerrede halten, als der Sarg ins Grab gesenkt werden sollte. Die jüngere der beiden Frauen bot ihm als Bezahlung an, ihm einen zu blasen. Da ließ sich der Priester erweichen und pries die letzte Prinzessin zu Biederstern für ihre Frömmigkeit.
DER WENDEPUNKT
Trauer setzte sich in Rudolfs Seele fest, als ihn die Nachricht von Arabellas Tod erreichte. Die Tage auf Biederhof waren nachtschwarz. Der Schlossherr versank immer tiefer in Melancholie. Er hatte die Lust auf ungarische Huren verloren, und fürs Kartenspiel hatte er kein Geld. Er verließ das Schloss nicht mehr, sondern starrte mit blassem Gesicht ins Leere oder führte tiefsinnige Gespräche mit einer Katze, für die er eine gewisse Zuneigung empfand.
Die Familie machte sich Sorgen. Rudolf war krank, das wusste man. Niemand auf dem Schloss hingegen wusste – außer dem treuen alten böhmischen Diener Bohumil, der vor fünfundzwanzig Jahren den jungen Herrn in Hauptmann von Knapps Internat in Fürstenbrunn bei Salzburg begleitet hatte –, dass er als Balsam für seine geschundene Seele Opium nahm. Aber die Glückseligkeit, die das Opium hervorrief, konnte er nicht lange genießen, denn die Sucht untergrub schnell seine bereits angeschlagene Gesundheit.
Vor den Schlosstoren sammelten sich die Gläubiger wie hungrige Wölfe. Alle auf dem Gut fragten sich, wie lange der Prinz noch durchhielte. Nicht nur
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