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Das Elixier der Unsterblichkeit

Das Elixier der Unsterblichkeit

Titel: Das Elixier der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Gleichmann
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bezauberndes Mädchen. Ihr werdet sie mögen.«
    Rudolf hörte nicht mehr auf die Worte des Mannes, sondern betrachtete das Mädchen. Sie saß mit gesenktem Kopf und versuchte, ihr Gesicht hinter dem dichten Haar zu verbergen.
    »Du da, steh auf«, sagte Rudolf auffordernd. »Ich will dein Gesicht sehen. Ich muss prüfen, ob ich darin Züge der Familie Biederstern finde. Wie kann ich sonst wissen, dass du von mir bist? Deine Mutter war schließlich nicht gerade eine Madonna.«
    »Ariadne ist immer auf der Hut, wenn sie Menschen begegnet, die sie nicht kennt«, versuchte der Mann zu erklären. »Euer Gnaden muss ihr verzeihen, dass sie zu Boden starrt. Das liegt daran, dass sie nichts sehen kann. Sie ist blind zur Welt gekommen. Meine Schwester hat ihr die Syphilis vererbt.«
    Rudolf ging zu dem Mädchen hinüber, hob ihr Kinn und strich ihr Haar zur Seite, um ihre Gesichtszüge zu studieren. Als er entdeckte, dass Ariadne seiner toten Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten war, wurde er blass. Der Schock darüber, eine Tochter zu haben, machte ihn stumm, und er musste sich setzen.
EIN DOPPELTES FEUER
    Rudolf konnte all die Erinnerungen an Arabella kaum aushalten, die durch seine Tochter wieder lebendig wurden. Ihr heftiges Temperament stürzte ihn jedoch in einen Abgrund frühen Alterns. Als Ariadne nach Biederhof kam, war er noch nicht fünfzig. Wenige Monate später sah er aus wie sechzig. Zunächst war es nur die Dienerschaft, die flüsterte, der Prinz sei auf erschreckende, wenn auch nicht unverdiente Weise gealtert. Doch bald sprachen alle davon, dass die blinde Tochter dem Schlossherrn so viele Sorgen bereite, dass er in einem halben Jahr um zehn Jahre gealtert sei.
    Äußerlich war Ariadne eine Kopie Clementinas, doch das Temperament hatte sie von ihrer Mutter und ihrem Vater geerbt. Sie quälte Rudolf mit Ausbrüchen von Launenhaftigkeit. Häufig reagierte er darauf mit solchem Ärger, dass man meinen konnte, er wolle sie umbringen. Eines Tages ging es so weit, dass er ein Jagdgewehr schussbereit auf den Kopf des Mädchens richtete. Sie konnte nicht sehen, was er da tat, doch ein Lakai schrie verzweifelt: »Schießt nicht, Euer Gnaden, um Gottes Willen, sie ist Eure eigene Tochter.«
    Da schloss er die Augen. Als er sich beruhigt hatte, sah er sich selbst als kleinen Jungen in kurzen Hosen, wie er einen seiner heftigen Wutanfälle gehabt hatte, und er sah die verzweifelten Gesichter seiner Mutter und seines Vaters vor sich. Er dachte, dass er nun mit Zins und Zinseszins zurückbekam, was er seinen armen Eltern zugefügt hatte.
    Ein halbes Jahr war vergangen, seit Ariadne nach Biederhof gekommen war. Sie empfand schmerzliches Heimweh. Sie sehnte sich nach dem Viertel in Birgittenau, nicht nach der Armut und dem Hunger, und bestimmt nicht nach Onkel Alois, der sie geschlagen hatte, aber nach den Cousins und Cousinen, nach all dem Gewohnten und Vertrauten. Das Schloss war wie ein großes Gefängnis. Sie durfte es nie allein verlassen. Es erstickte sie. Hier war sie nichts. Eine Fremde. Ihren Vater verabscheute sie, nicht nur, weil er sich nie um sie gekümmert hatte, sondern weil er ein selbstgerechter und strenger Mann war, ohne Liebe und Autorität, das einzige, was ihm zur Verfügung stand, waren leere und drohende Worte, die sie mit Verachtung erfüllten. Sie misstraute auch der Dienerschaft. Diese Leute schlichen hinter ihrem Rücken herum, flüsterten, kicherten und redeten sicher schlecht über sie. Ihre Herzensnöte interessierten niemanden. Sie fühlte sich häufig den Tränen nah, hilflos vor Ohnmacht und unterdrückter Wut. Es war, als hätte die Einsamkeit ihre Glieder gelähmt. Sie wollte sterben. Sie wollte einschlafen und niemals wieder erwachen. Die Stille um sie herum war wie ein Verrat. Es gab niemanden, der ihr Geheimnis erfahren wollte, ihr Feuer. Niemanden kümmerte es, was sie mit ihren Augen sah, so dunkel und leer.
IN JAKOBS HAUS
    Jakob durchlebte anstrengende Tage. Die Verantwortung zu tragen für Biederhof und, nach Salomons Tod, für die Geschäfte der Rothschild-Bank in Wien, erforderte fast übermenschlichen Einsatz. Im Laufe der Monate, in denen er zunächst Thurn und Taxis geholfen hatte, ihren Postbetrieb an den preußischen Staat zu verkaufen, schlief er niemals mehr als drei Stunden pro Nacht. Doch niemand hörte ihn jemals klagen. Nicht einmal darüber, dass sein Rückgrat immer krummer wurde und dass die genaue Überprüfung dessen, was mit kleiner Schrift auf den Verträgen,

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