Das Elixier der Unsterblichkeit
allzu frühen Tod.
EINE LANGE FREUNDSCHAFT
Mein Großonkel mochte Franz Joseph nicht. Er meinte, der Kaiser habe ihm mehrere Jahre seines jungen Lebens gestohlen. Er erzählte uns, dass Franz Joseph nach der Schlacht bei Solferino im nördlichen Italien 1859, die Österreichs Schwäche offenbart hatte, gezwungen war, die Lombardei abzutreten. Die Niederlage im Krieg gegen Preußen führte mit der Zeit dazu, dass auch Venedig verlorenging und Habsburg aus Deutschland herausgetrieben wurde. Der Kaiser war zum Umdenken gezwungen. Eifrig von seiner Frau Sissi angetrieben, schritt er unmittelbar zu Werke und erarbeitete auf seine verschlagene Weise eine neue Politik, um Frieden und Gleichgewicht herzustellen. Er versöhnte sich mit den Ungarn und ließ sich in Budapest als König der Magyaren krönen. In dem neuen Staatenverbund Österreich-Ungarn, auch die Doppelmonarchie genannt, herrschten Österreicher und Ungarn beide in ihrer Hälfte, die anderen Völker wurden unterdrückt.
Doch sich Kaiserliche und Königliche Majestät nennen zu lassen wurde eine teure Angelegenheit. Beim Ausgleich 1867 wurde die Staatskasse in Wien annähernd geleert. Eine Weile war die Situation so ernst, dass Franz Joseph sich dazu herablassen musste, Gläubiger zum Tee in die Hofburg einzuladen.
Es sei kein leichter Job, konstatierte mein Großonkel, ein absolutistischer Herrscher über fünfzig Millionen Seelen zu sein.
Franz Joseph wäre fast die Zigarre aus dem Mund gefallen, als Jakob sein Entree hielt, denn das kaiserlich-königliche Kinn Seiner Majestät sackte beim Anblick der unfassbar großen Nase des Juden herunter. Er hatte nie zuvor etwas Ähnliches gesehen. Um ein Haar hätte er einen Lachanfall bekommen. Jakob hatte diese Reaktion schon oft erlebt. Er sagte: »Die Nase ist ein Erbe meines Großvaters, Nicolas Spinoza. Doch Eure Majestät können beruhigt sein, es ist nur zum Teil sein revolutionäres Blut, das in meinen Adern fließt. Ich empfinde es als eine große Ehre, hier zu sein. Ich kann Euch ebenfalls versichern, dass ich nicht mit der Absicht gekommen bin, jemanden enthaupten zu lassen, sondern um ehrerbietig meinem Kaiser zu dienen und auf jede mir mögliche Weise seine und die Stellung des Reiches zu stärken.«
Diese Offenherzigkeit machte Eindruck auf Franz Joseph und weckte seinen Beifall. Er antwortete in leichtem Tonfall: »Dienen Sie Ihrem Kaiser, können Sie durchaus geadelt werden. Missfallen Sie Ihrem Herrscher von Gottes Gnaden, dann dürfen Sie zehn Jahre in einer Einzelzelle verbringen. Verglichen damit, seinen Kopf unter die Guillotine zu legen, was das Schicksal Eures Großvaters war, ist es sicher kein allzu hartes Los. Wir Habsburger sind eben menschlicher als die französischen Revolutionäre.«
Beide lächelten. Dies war der Beginn einer langen Freundschaft.
Franz Josephs Leben war geprägt von vielen Verlusten. Sein Bruder Ferdinand Maximilian, Kaiser von Mexiko, war von undankbaren Untergebenen abgesetzt und hingerichtet worden. Sein einziger Sohn Rudolf beging unter mysteriösen Umständen Selbstmord. Seine Schwester Valentina kam bei einem Brand in Paris ums Leben. Seine Ehefrau Sissi wurde von einem italienischen Anarchisten mit einer Feile erstochen. Der Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand wurde von einem serbischen Nationalisten erschossen.
Nach dem Tod des Thronfolgers verlor der Kaiser die Lebenslust. Vierzehn Tage lang verließ er kaum sein Schlafzimmer und sprach zu niemandem ein Wort. Er überlegte, sagte mein Großonkel, ob er sich das Leben nehmen solle. Er bat einen Lakaien, ihm ein dickes Seil zu bringen. Doch der Gedanke daran, mit in der Luft baumelnden Beinen am Kristallleuchter zu hängen, verursachte ihm Kopfschmerzen. Kalter Schweiß brach ihm aus und er bekam Bauchschmerzen.
Es musste einen anderen Ausweg geben. Doch er wusste nicht, welche Methode am sichersten und am wenigsten schmerzhaft war. Die Situation wurde noch dadurch verschlimmert, dass er sich mit keinem seiner Minister beraten konnte. Wem wagte er zu vertrauen? Er rief Jakob zu sich und weihte ihn in das Geheimnis ein. Jakob überlegte hin und her, dann kam er auf eine Lösung. Er sagte, er besitze ein Buch, das voller talmudischer Weisheit sei und auf alle Fragen eine Antwort geben könne. Er versprach, es zu holen, und fuhr nach Hause. Das Leben steht über allem anderen, dachte er und tat etwas, von dem er wusste, dass er es eigentlich niemals tun durfte. Um den Freund von den bösen Phantasien zu
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