Das Elixier der Unsterblichkeit
das Paar – sie waren minderjährig: sie fünfzehn, er siebzehn – habe damit gerechnet, in der ungarischen Hauptstadt nicht gesucht zu werden.
Die erste Begegnung der jungen Leute mit der Stadt war freundlich. Sie kamen an einem Tag dort an, als ein großes Fest gefeiert wurde: die Zusammenlegung der beiden Stadthälften Buda und Pest, jede auf einer Seite der Donau gelegen, zu einer einzigen Stadt – Budapest. Auf den breiten Boulevards drängten sich die Menschen, sie sangen, schwenkten stolz Fahnen und umarmten in ihrem Freudenrausch selbst Unbekannte. Ariadne und Bernhard fühlten sich sofort wohl und betrachteten die Zusammenlegung als gutes Omen. Ariadne ergriff Bernhards Hand, die ihr so große Sicherheit und Freude vermittelte. In einem Vorort fanden sie bald einen ziemlich angeheiterten Bürgermeister, der keine Papiere von den jungen Leuten verlangte und sie rechtmäßig zu Mann und Frau machte. Die Welt war klar und schön. Die Zukunft lag zu ihren Füßen.
Als Rudolf zu Ohren kam, dass Ariadne Bernhard geheiratet und in Budapest einem Sohn das Leben geschenkt hatte, war er wie verwandelt. Bis dahin hatte er kaum Interesse an der verschwundenen Ariadne bekundet, doch jetzt war er außer sich. Als Prinz und Oberhaupt einer der ältesten Adelsfamilien Österreichs konnte er nicht akzeptieren, dass seine Tochter einen Juden heiratete und Judenkinder zur Welt brachte. Er raste vor Wut auf Jakob, obwohl dieser ihn vor dem Ruin gerettet, das Gut zum Erblühen gebracht und sich um Ariadne gekümmert hatte. Dunkle Bilder zogen durch Rudolfs Kopf. Er hieß einen Diener, in den Keller zu gehen und eine Flasche Jahrgangscognac zu holen, den er in sich hineinschüttete. Er nannte Ariadne eine Hure und ihre Mutter ein herzloses Frauenzimmer, das ihn zum Narren gehalten und seine Gutmütigkeit ausgenutzt habe. Er ließ sich mehr Cognac heraufbringen. Er trank und führte sich auf wie ein wildes Tier, schrie und tobte gegen alle im Schloss. Allerdings hielt er sich von Jakob fern, der inständig darum bat, mit ihm sprechen zu dürfen. Umgeben von Cognacschwaden verfluchte er Jakob, nannte ihn bald ein Judenschwein, bald einen Verbrecher. Er habe ihm alles abluchsen wollen, was er besitze, indem er ihm die Tochter genommen, sie in sein Haus eingesperrt und mit seinem Sohn gepaart habe.
Rudolfs Verwünschungen hallten in den hohen Sälen des Schlosses wider. Als sich die Dämmerung herabgesenkt hatte, stellte er sich auf den Balkon und brüllte, sodass alle es hören konnten, es schmeichle ihm nicht im Geringsten, einen jüdischen Schwiegersohn zu haben, denn er wisse, worauf dieses niederträchtige Schauspiel hinauslaufe. Er würde dafür sorgen, dass Ariadne keine gute Partie wäre, indem er sie enterbte. So könnten die Juden nach seinem Tod nicht Biederhof mit Beschlag belegen.
Mitten in der Nacht rief er den Notarius Publicus herbei und diktierte ihm ein neues Testament. Nach seinem Ableben solle sein gesamtes Vermögen an seinen Vetter Ludwig von Thurn und Taxis gehen, da er blaues Blut habe und der einzige Mann auf der Welt sei, auf den er sich verlassen könne. Dann trank er noch mehr und trat wieder auf den Balkon. Er brüllte, sein Geist könne nun Ruhe finden, denn er habe das Testament geändert und dafür gesorgt, dass die Hure Ariadne nach seinem Tod mit leeren Händen dastehen werde.
Er hielt einen Moment inne, um die rechten Worte zu finden, die ausdrückten, was er fühlte. Im nächsten Augenblick, geblendet von den ersten Strahlen der Morgensonne, verlor er das Gleichgewicht, fiel über das Geländer und wurde am Boden zerschmettert.
Sein Begräbnis fand eine Woche später statt. Jakob und seine Familie hatten das Gut bereits verlassen und waren nach Wien gezogen.
DREI WEITERE GESCHWISTER
Jakob hatte vier Kinder. Alle hatten, bei zum Teil großen Mängeln und Fehlern, etwas von ihrem Vater geerbt: Nikolaus – wirtschaftliches Genie, Claudia – Güte, Andreas – Erfindergeist. Doch keines der Kinder war mit dem Charakter Jakobs begabt. Ich bin kein Psychologe und will mir nicht herausnehmen, sie miteinander zu vergleichen. Doch ich weiß, dass nur eines der Kinder sich zu ähnlicher Größe entwickelte wie Jakob, menschlich und intellektuell, und das war Bernhard, der seine Integrität, seine Autorität und seinen scharfen Verstand geerbt hatte.
Dass ich mich vor allem bei Bernhard aufhalte, ist nicht verwunderlich. Er war der Vater meines Großvaters, geboren nicht nur mit einer
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