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Das Elixier der Unsterblichkeit

Das Elixier der Unsterblichkeit

Titel: Das Elixier der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Gleichmann
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zwei Wochen später in Auschwitz. Hitlers Koch, dem so viele ihr Leben zu verdanken hatten, konnte seine eigene Mutter nicht retten.
    Andreas war das jüngste Kind und der Clown der Familie. Die Geschwister nannten ihn »Karpfen«, weil seine Lippen zitterten wie das Maul eines Karpfens, wenn er begeistert über seine eigenen Geschichten lachte. Als Erzähler hatte er eine ungewöhnliche Gabe. All seinen Unwahrheiten, Übertreibungen und ausgeschmückten Boshaftigkeiten zum Trotz fanden die Leute auf dem Gut es lustig, seinen labyrinthisch gewundenen Geschichten zu lauschen.
    Andreas’ Liebe zu Schusswaffen wurde, zum Erschrecken der ganzen Familie, von Bertold begründet, der, ebenso wie sein Vater und Großvater vor ihm, die Verantwortung für den großen Schusswaffenbestand des Gutes trug. Der Junge träumte davon, an der polytechnischen Universität Physik zu studieren, wurde aber nicht angenommen. Nach drei Versuchen gab er auf und ließ sich als Lehrling in der Österreichischen Waffenfabriksgesellschaft anwerben, die die schönsten Jagdgewehre des Landes herstellte. Schusswaffen waren zu jener Zeit noch langsam und unhandlich. Andreas versuchte, die Treffsicherheit zu verbessern und den Ladevorgang zu beschleunigen. Er wusste genau, dass die Preußen 1866 im Preußisch-Österreichischen Krieg mit ihrem Dreyse-Hinterlader in der gleichen Zeit, die die Soldaten Franz Josephs brauchten, um stehend die Waffe zu laden und einen Schuss abzugeben, sieben Schuss abgefeuert hatten, und zwar liegend. Wer siegreich aus diesem Krieg hervorging, lag auf der Hand. Andreas konstruierte eine Waffe, die schnell war, treffsicher und unempfindlich gegen Feuchtigkeit. Er begegnete zwar einem gewissen Interesse, als er sein Gewehr beim Militärkommando präsentierte, doch die bürokratischen Mühlen der Doppelmonarchie mahlten langsam. Während man prüfte und diskutierte, Bedenken zwischen verschiedenen Abteilungen hin und her schickte und neue Fragen stellte, die beantwortet werden mussten, verging die Zeit, und Andreas fuhr enttäuscht über die Grenze zur Waffenfabrik Paul Mauser in dem kleinen deutschen Ort Oberndorf am Neckar. Mauser erkannte sofort das Geniale an Andreas’ rotierendem Zylindermechanismus für Kammerladung und begrüßte diesen großen Fortschritt. Nie zuvor hatte jemand eine Waffe konstruiert, mit der Infanteristen fünfzehn Schuss in fünfzehn Sekunden abfeuern konnten, mit einer Treffsicherheit noch über tausend Meter. Andreas unterzeichnete einen Vertrag mit den Mauser-Werken, und die von ihm entwickelten Finessen wurden in die neuen Repetiergewehre eingebaut, die unter der Bezeichnung Modell 98 liefen. Der legendäre Infanteriegeneral Lothar von Trotha besuchte vor seiner Ostafrika-Expedition die Fabrik, um die neue Waffe zu testen. Er war überaus zufrieden. »Mit dieser Waffe können wir die Vernichtung der aufrührerischen Afrikaner ins Auge fassen«, konstatierte der General. »Vernichtung«, wiederholte Andreas, denn der Klang des Wortes gefiel ihm.
    Kurz vor dem Treffen mit dem General war er zufällig auf einen Abenteuerroman von Rider Haggard gestoßen. Die romantische und von erotischem Exotismus triefende Geschichte des Engländers darüber, wie weiße Männer die Frauen der Kolonien kontrollierten, wie sie Kraft ihrer kulturellen und technischen Überlegenheit Afrikas Schätze in Besitz nahmen, erschien ihm äußerst verlockend. Von dem Buch wie verhext, bat er von Trotha, ihn mit nach Ostafrika zu nehmen. Er wolle im Feld studieren, wie die neue Waffe wirke. Zwei Jahre lang begleitete er die Expedition des Generals. Während Dörfer geplündert und niedergebrannt wurden, ein Drittel der Bevölkerung ermordet und ebenso viele verwundet wurden, saß Andreas in einem komfortablen Militärzelt, zwar geplagt von Insekten, doch gut versorgt von zwei dunkelhäutigen Geliebten, und verbesserte die Gewehre noch weiter, indem er die Rauchgase einschloss, die sich bildeten, wenn der Schuss abgefeuert wurde. Das brutale Vorgehen des Generals und das maßlose Leiden der Afrikaner störten ihn ebenso wenig wie die Schreie der Affen und das Brüllen der Wildtiere. Es war ihm schon sein ganzes Leben lang leichtgefallen, unangenehme Dinge zu verdrängen. Er hatte natürlich gelernt, dass der Wert aller Menschen gleich ist und dass alle Individuen angeborene Rechte haben. Doch in Afrika galt das nicht. Er teilte die Sichtweise des Generals: Schwarze Menschen musste man nicht als Menschen betrachten. Waren

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