Das Elixier der Unsterblichkeit
ausgehen.«
Baruch de Espinosas Schriften standen ganz oben auf Tristan Alonso de Navias Liste. Mit freudiger Genugtuung, in die sich Schrecken mischte, wurde er Zeuge, wie die Arbeiten des jüdischen Leibarztes von den Flammen verzehrt wurden.
Heute wird der Name meines Urahns in wissenschaftlichem Zusammenhang nicht genannt. Dagegen wird er in der umfangreichen Biographie
Alfonso Henriques
(Lissabon, Bertrand 1999) von Diogo Freitas do Amaral, dem früheren Außenminister Portugals, erwähnt.
Dem Buch zufolge war das Regime des ersten portugiesischen Königs gewalttätig und willkürlich. Amaral beschreibt das gefährliche Milieu um Alfonso Henriques mit lebendiger Anschaulichkeit: moralisches Chaos, Willkür, Intrigen und Mordlust. Er schildert vor allem die Charakterlosigkeit des Königs und die Gewalt am Hofe. Ratgeber, die für eine maßvolle Machtausübung eintraten, und alle, die sich in die Politik einmischten, wurden hingerichtet, Verwandte wurden bedenkenlos aus dem Weg geräumt. Die Beseitigung von Menschen, die dem König nicht behagten, erfolgte zumeist mit Hilfe schnell wirkender Gifte aus Baruchs Laboratorium.
Auch wenn alle am Hof Anlass hatten, Baruchs natürliche Freundlichkeit und seine wunderwirkende Medizin zu schätzen, schreibt Amaral, so wurde er doch von vielen gefürchtet.
»Der Jude führt Böses im Schilde«, wurde hinter seinem Rücken geflüstert. Viele meinten, Baruch sei zu jeder noch so ruchlosen Tat bereit, um dem König zu gefallen und dadurch seine eigenen Interessen und die der Juden zu fördern. Wieder andere gingen noch weiter und behaupteten, sein medizinisches Wissen sei unbedeutend, er sei nichts als ein jüdischer Giftmischer.
EIN GUTER JUDE
Während der Osterfeiertage im Jahre 1160 wurde Baruch vom König aufgefordert, ihn zur Kirche zu begleiten und die Predigt Kardinal Berenguers zu hören. Der Kardinal sprach voller Pathos und scheute keine Derbheiten, als er die Abfälligen verurteilte, die Jesus Christus den Rücken gekehrt und sich in die Sandgrube des Müßiggangs, der Verantwortungslosigkeit und der Unmoral begeben hatten.
Die salbungsvolle Predigt über das vergeudete Leben weckte Baruchs Interesse, und er lauschte aufmerksam. Als Berenguer die lateinischen Worte »Ibi dissipavit substantiam suam, vivendo luxuriose« herausschleuderte, fühlte Baruch sich getroffen. Der Text stammte aus dem fünfzehnten Kapitel des Lukas-Evangeliums und handelte vom verlorenen Sohn, der in ferne Länder fuhr und »daselbst sein Gut umbrachte mit Prassen«. Baruch befiel das schlechte Gewissen darüber, jahrelang seinen Vater vergessen und sein Judentum vernachlässigt zu haben.
Er ging an diesem Abend früh zu Bett, erwachte aber kurz nach Mitternacht und sah eine Lichtgestalt an seinem Lager stehen. Es war der Vater, der gekommen war, um Abschied von ihm zu nehmen, denn seine Erdenzeit war abgelaufen. Er strich Baruch übers Haar und bat ihn, ein guter Jude zu bleiben, den Sabbat zu halten und Gebetsriemen zu tragen. Dann verschwand Rabbi Judah Halevy ebenso lautlos, wie er gekommen war.
Baruch lag schlaflos im Bett, während die laue Luft der Frühjahrsnacht durch die offenen Fenster hereinströmte. Die Gedanken schwirrten in seinem Kopf, und nichts vermochte ihn vor den mahlenden Mühlen der Qual und der schmerzhaften Hiebe des Gewissens zu retten.
Plötzlich fielen ihm die Worte Moses wieder ein: »Du sollst die Zehn Gebote befolgen, die auf meinen Steintafeln eingeritzt sind, du sollst nach ihnen leben und eine jüdische Gemeinde gründen, aus der viele große Männer und Frauen hervorgehen und alle Enden der Erde erobern werden. Eines Tages wirst du das große Geheimnis finden, nach dem die Menschen seit Anbeginn der Zeiten gesucht haben. Dieses Geheimnis wird von deinen Kindern und Kindeskindern tausend Jahre lang gehütet werden. Solange deine Nachkommen ihre Verpflichtung einhalten, werden sie erhobenen Hauptes unter den Menschen auf der Erde wandeln, und der Herr wird über sie wachen. Wenn aber jemand den Willen des Herrn verrät, wird dein Geschlecht ausgelöscht werden von der Erde.«
Baruch beschloss, am nächsten Morgen den König um Erlaubnis zu bitten, im Schloss den Talmud zu studieren und den Sabbat zu feiern. Danach schlief er friedlich ein.
Alfonso Henriques bewilligte seinem Leibarzt das Privileg, die erste jüdische Gemeinde in Lissabon zu gründen, und sie sollte unter dem besonderen Schutz des Königs stehen. Um am Sabbat Gottesdienst halten zu
Weitere Kostenlose Bücher