Das Elixier der Unsterblichkeit
können, war die Anwesenheit von mindestens zehn erwachsenen jüdischen Männern erforderlich. Baruch erhielt die Erlaubnis, einen Rabbiner einzusetzen und fünf jüdische Familien aus León, die ein bescheidenes Gewerbe betrieben oder als Hausierer von Dorf zu Dorf zogen, einzuladen, sich in der Stadt niederzulassen: Castro, Halevi, Abravanel, Sarfati und Peralta.
Binnen kurzer Zeit entstand ein kompliziertes Netz von Verwandtschaftsbeziehungen und Besitztümern zwischen diesen Familien, die im Laufe der nächsten vierhundert Jahre vielfach untereinander heirateten.
VERHEIRATET UND UNGLÜCKLICH
Rabbi Mordechai Montefiori war daran gelegen, dass Lissabons jüdische Gemeinde wuchs. Beharrlich versuchte er, Baruch zu einer Heirat zu überreden. Der Rabbi betonte, dass man nur als Mitglied einer Familie ein vollwertiges jüdisches Leben führen könne, und versicherte Baruch, er habe bereits eine perfekte Frau für ihn gefunden.
Montefiori hatte kluge Augen. Seine Gestalt und seine Gesten waren von respekteinflößender Würde. Er sprach deutlich und bestimmt und betonte jede Silbe mit Sorgfalt. Als der Rabbi diese perfekte Frau beschrieb, die voller Unschuld und von stillem Wesen war, klang er sicher und nahm kaum Notiz davon, dass Baruch kein Interesse zeigte. Nicht einmal in seinen wildesten Träumen hätte er sich vorstellen können, dass der Leibarzt des Königs, Lissabons attraktivster jüdischer Junggeselle, in der Tiefe seines Herzens ein Geheimnis barg, nämlich eine Vorliebe für Männer.
Kurz darauf wurde Baruch im Haus des Rabbiners einer jungen Frau mit Namen Marianne Castro vorgestellt. Sie schielte, und bevor Baruch es sich versah, ließ diese Eigenart seine Erinnerung aufflammen, und Raimundo trat wie eine rätselhafte Erscheinung vor sein inneres Auge. Er dachte nur an seinen Freund, während er Marianne betrachtete. Sie hatte ein schönes Gesicht und den Körper eines Jünglings, breite Schultern, flache Brüste und große Füße. Sie saßen schweigend eine halbe Stunde beieinander und wussten sich nichts zu sagen. Der Rabbi hielt es für ein gutes Zeichen, denn zwei Menschen, die über tausend gleichgültige Dinge reden, sind eigentlich nicht füreinander bestimmt.
Baruch glaubte, er sei der einzige in Lissabon, der sich zu seinem eigenen Geschlecht hingezogen fühlte. Ferner fürchtete er, dass diese Neigung gegen Moses Gesetze verstieß und folglich bekämpft werden müsse. Also beschloss er nach kurzer Bedenkzeit, Marianne zu heiraten. Der Rabbi zeigte ein breites und herzerwärmendes Lächeln – er lächelte sonst nie – und offenbarte Baruch, dass Marianne die Tochter seiner Schwester sei.
Drei Tage später wurde die Hochzeit gefeiert. Der Rabbi hielt eine kleine Predigt. Er erklärte, durch eine Fügung des Himmels sei es den Juden vergönnt, in Lissabon eine Gemeinde zu gründen, und es sei die Pflicht der Jungverheirateten, sich die Vermehrung ihres Geschlechts angelegen sein zu lassen.
Nach der Trauung ging das Paar sofort zu Bett. Es sah fast so aus, als täten sie es, um dem Rabbi zu Willen zu sein. Baruch hatte noch nie eine nackte Frau gesehen und war nervös. Marianne bebte vor Erregung. Sie führte seine Finger an die empfindlichsten Stellen ihres Körpers, die Brustwarzen, und bekam eine Gänsehaut, als er sie berührte. Der Duft ihres Haars, ihr Atem, ihre warme Haut ließen den Dämon der Hemmung aus Baruchs Körper weichen, und er suchte hungrig nach Befriedigung. Erst im Morgengrauen schliefen sie ein.
Baruch fühlte sich glücklich. Im ersten Monat liebten sie sich wie Besessene. Aber Marianne wurde schwanger, und je runder ihr Bauch wurde, desto mehr verlor Baruch das Interesse an ihr. Als sie nach einer Pause von Wochen um seinen Besuch im Bett bat, entdeckte er zu seinem Erschrecken, dass ihr inzwischen angeschwollener und weicher Körper ihn ekelte.
Baruchs Gedanken kreisten um seinen Freund Raimundo, und er wurde immer verwirrter durch die starken Gefühle und die heiß aufwallenden Erinnerungsbilder von der Kellerpritsche in der Schmiede. Nach und nach erreichte ihn eine Botschaft aus dem Dunkel seines Unbewussten und er gelangte zu der Einsicht, dass hier Kräfte am Werk waren, gegen die er nichts vermochte, so sehr er es auch versuchte. Er sah ein, dass eheliches Glück für ihn nicht existierte und die Heirat ein verhängnisvoller Fehler gewesen war. Tag für Tag machte er sich Vorwürfe, auf den Rabbi gehört zu haben. Aus schierem Selbsterhaltungstrieb teilte
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