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Das Elixier der Unsterblichkeit

Das Elixier der Unsterblichkeit

Titel: Das Elixier der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Gleichmann
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nicht nur wechselt, wenn es sich Gegenständen von verschiedener Farbe nähert, sondern auch dann, wenn es Angst hat oder von anderen Sinnesregungen beeinflusst wird.
PARACELSUS UND AMARAL
    Der Arzt und Alchemist Paracelsus hatte während einiger Monate im Herbst 1538, nach einem aufreibenden Rechtsstreit, der ihn zur Flucht aus seiner Heimatstadt Basel zwang, den Lehrstuhl für Medizin an der Universität Lissabon inne. Durch Zufall erfuhr er von Baruch und seinem Wirken. Ein glatzköpfiger Professor mit finsterem Gesicht und schlechten Zähnen, der Religion lehrte und im Dienst der Inquisition stand, warnte ihn jedoch und erklärte, die Schriften des Juden seien mit ketzerischen Lehren gespickt. Das machte Paracelsus nur noch neugieriger. Der Schweizer war ein Rebell, der der Schulweisheit den Rücken kehrte und neues Wissen suchte, vor allem in der Natur und in einer verborgenen Gelehrsamkeitstradition, die in der jüdischen Kabbala und in ägyptischer Weisheit wurzelte.
    Wann immer Paracelsus ein paar freie Stunden hatte, stieg er hinunter in das Kellermagazin der königlichen Schlossbibliothek, wo Baruchs Schriften aufbewahrt wurden. Allerdings hatten Ratten in dem schimmeligen Keller große Teile dieser Arbeiten gefressen, und einige Abhandlungen waren so vom Alter mitgenommen, dass der Alchemist sie kaum entziffern konnte. Von ketzerischen Spuren, die sich gegen Gott versündigten oder den König beleidigten, fand er keine Anzeichen. Dagegen entdeckte er einzigartige naturwissenschaftliche Beobachtungen, die Inhalt und alleiniges Ziel dieser Schriften waren. Paracelsus erkannte, dass er Zugang zu einer wahren Schatzkammer erhalten hatte, hinterlassen von einem Bahnbrecher der Naturwissenschaft und Jahrhunderte hindurch von Menschenhand unberührt geblieben.
    Im folgenden Jahr diente Paracelsus als Arzt am Hof von Aragonien. Von dort schrieb er einen Brief an das Sanctum Officium in Lissabon, in dem er beteuerte, nicht einmal die strengste Zensur könne in Baruch de Espinosas Schriften Irrlehren oder etwas dem heiligen Glauben Zuwiderlaufendes entdecken. Er fügte hinzu, dass alle, die ein wenig mehr Kenntnis von der Wahrheit hätten, sich fragen sollten, ob dem Urheber dieser Schriften nicht eher Beifall zuteilwerden sollte als Missachtung, eher Bewunderung als Misstrauen.
    Einige Wochen später erhielt Paracelsus eine kurze Antwort, unterzeichnet vom Hauptzensor der Inquisition, Tristan Alonso de Navias. Nach eitel Lobesworten und dem Ausdruck höchster Bewunderung für die Arbeiten des Schweizer Alchemisten und Arztes beendete der Zensor seinen Brief mit der Bemerkung, Schweigen sei die beste Reaktion auf sein Ansinnen, denn alle Schriften aus jüdischer Hand seien ein für alle Mal als unvereinbar mit der herrschenden katholischen Weltordnung befunden worden.
    Paracelsus’ Handeln zeugte von Mut. Allerdings war mein Großonkel nicht überzeugt davon, dass der Schweizer ausschließlich von edlen Motiven geleitet war, als er sich in Baruchs Arbeiten vertiefte. Fernando meinte, Paracelsus habe sich nicht nur inspirieren lassen, sondern sich frei aus den Texten des Leibarztes bedient, besonders bei der Schrift über das Chamäleon, aus der er in
Philosophiae et Medicinae utriusque compendium
(Basel 1568) wörtlich an die dreißig Seiten zitiert habe, ohne die Quelle anzugeben.
    Es waren Gerüchte im Umlauf, so wusste mein Großonkel zu berichten, Tristan Alonso de Navias Großmutter sei Jüdin gewesen, und um diese schändliche Tatsache zu verdecken, habe der Hauptzensor der Inquisition sich mit Leib und Seele der Ausmerzung aller Spuren der Juden verschrieben. Doch es kann auch daran gelegen haben, dass er überzeugt war, nicht mehr lange zu leben. De Navia glaubte, von einer unheilbaren Krankheit befallen zu sein, und dachte an nichts anderes als den Tod. Dies vertraute er nur seinem alten Beichtvater an, einem bigotten Priester, der vorgab, ihm in seinen Prüfungen beizustehen, in Wirklichkeit aber das Hirn des Hauptzensors mit Geschichten über die Bosheit der Juden vergiftete und ihm einredete, er könne als wahrer Katholik nur ins Paradies gelangen, wenn er zur Ausrottung der Juden beitrüge.
    Der Befehl, der de Navias Unterschrift und das Siegel der Inquisition trug, ausgefertigt am 19. April 1540, war klar und leicht verständlich: »Nach Sonnenuntergang sollen alle jüdischen Schriften und Bücher in Lissabon auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden. Und das Feuer soll die ganze Nacht nicht

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