Das Elixier der Unsterblichkeit
darauf, im königlichen Schloss von Lissabon zur Welt zu kommen.
Baruch sah es als schicksalsgegeben an, dass er die Leidenschaft für Marianne verloren hatte, die ihrerseits umso fruchtbarer war. Sie brachte sechs Kinder zur Welt, die in Nächten gezeugt wurden, in denen es Baruch gelang, das Bild Raimundos zu verdrängen und seine Selbstverachtung zu überwinden, um ebenso widerwillig wie hastig seine eheliche Pflicht zu erfüllen.
Zuerst bekam das Paar drei Jungen, die gesund und kräftig waren; sie wurden von Marianne mit liebevoller Fürsorge aufgezogen. Danach brachte sie Drillinge zur Welt. Drei Mädchen, die binnen weniger Tage starben.
Nach der schweren Schwangerschaft mit den Mädchen und der anstrengenden Geburt, als Mariannes Brüste prall waren von Milch, erlitt sie eine Art Vergiftung, die ihre Nerven stark angriff. Nach und nach verlor sie den Sinn für die Wirklichkeit. Baruch vermutete, dass es sich bei dem, was sich in ihrem Kopf abspielte, um eine angeborene Geisteskrankheit handelte. Mit jeder Woche, die verging, verirrte sie sich tiefer im Labyrinth ihrer Verwirrung. Am Ende erinnerte sie sich an nichts mehr. Die Zärtlichkeit, die sie ihren Söhnen gegenüber empfunden hatte, übertrug sie auf Vögel und verbrachte Tage damit, Hühner zu hypnotisieren. Sobald sie Baruch erblickte – sie bildete sich ein, er sei ein zerlumpter Bettler, der heimtückische Fallen stellte, um all die goldenen Eier ihrer Hühner zu stehlen –, fauchte sie wie eine Katze, begann Streit und schleuderte Verwünschungen in alle Himmelsrichtungen.
Baruch schämte sich für Mariannes verwirrtes Verhalten. Aber statt nach einem Heilmittel zu suchen, wurde er noch kälter und legte einen totalen Mangel an Mitgefühl mit seiner Frau an den Tag.
Als die Hofdamen sich beim König beschwerten, sie könnten Mariannes lautes Schreien und ihre vulgären Ausfälle nicht mehr ertragen, entschuldigte Baruch sich peinlich berührt und versprach, sich des Problems anzunehmen.
Er bat zwei Soldaten der Leibgarde des Königs, ihm zu folgen und Marianne am Bett festzubinden, danach verschloss er die Tür des Schlafgemachs. Er bestellte eine ältere jüdische Frau, die zweimal am Tag kam, Marianne wusch, ihr Essen gab und mit ihr redete. Sie sprachen über Hühner, denn die verwirrte Frau des Leibarztes fand an keinem anderen Thema Gefallen.
In ihren einsamen Stunden wurde Marianne von einem Albtraum heimgesucht, in dem sie aus dem Bett stieg, die Tür öffnete, das Zimmer verließ, ins Hühnerhaus ging und entdeckte, dass ihre Lieblinge nicht mit ihr reden wollten.
Eines Morgens, zwei Monate nachdem Baruch sie ans Bett hatte binden lassen, entdeckte die Betreuerin, dass Marianne verschwunden war. Sie erschrak und lenkte ahnungsvoll ihre Schritte zum Hühnerhaus. Dort lag ein Dutzend Hühner mit abgeschnittenen Köpfen auf dem Boden. Es dauerte einige Augenblicke, bis die Frau Marianne entdeckte, die mit einem dicken Seil um den Hals an der Decke hing. Drei Soldaten waren nötig, um ihren erstarrten Körper herunterzuholen.
Als Baruch die Nachricht vom Tod seiner Frau erhielt, fühlte er sich in gewisser Weise erleichtert. Er machte sich nicht einmal die Mühe, Trauer über ihren Tod zu heucheln. Statt sich seiner Kinder anzunehmen, schloss er sich im Laboratorium ein, und es war streng verboten, ihn zu stören. Dort schlief er und nahm seine Mahlzeiten ein. Manchmal vergingen mehrere Tage, ohne dass er das Laboratorium verließ. Im Beisein der Kinder ließ er verlauten, das Leben des Königs und die Suche nach dem großen Geheimnis seien das einzige, was ihm etwas bedeute.
DER ABSCHIED DES KÖNIGS
Im Herbst seines Lebens verließen Alfonso Henriques die Kräfte. Er litt an einer mysteriösen Krankheit, die ihn von innen her auffraß, vor allem seine Rückenwirbel. Seine Haut wurde trocken und dünn wie Pergament. Er verlor den Appetit und schwitzte stark, auch wenn er still lag. Er konnte nicht mehr ausreiten, was ihn sehr schmerzte. Immer häufiger musste er die Tage liegend verbringen. In seiner Verbitterung über sein beeinträchtigtes Leben spie er Drohungen gegen eingebildete und wirkliche Feinde aus und verhängte grausame Strafen.
Jeden Morgen und Abend gab Baruch ihm einen geheimen Absud aus dem Kopf einer Schildkröte, dem Urin einer Eidechse, der Leber eines Meerschweinchens und Kamillenblättern. Doch nichts schien zu helfen.
Eines Morgens war Alfonso Henriques in besonders schlechter Stimmung. »Glaubst du«, sagte
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