Das Elixier der Unsterblichkeit
er und sah Baruch vorwurfsvoll an, »ich habe vor, mich mit so übel schmeckenden Mixturen vergiften zu lassen? Ich vermute, dass du es bist, mein eigener Leibarzt, der mich krank macht. Wie kann ich wissen, dass du dich nicht mit meinem Sohn und den Feinden verschworen hast, die um mich herumschleichen und nur darauf hoffen, meine Leiche in den Sarg legen zu können?«
»Königliche Hoheit«, erwiderte Baruch und verneigte sich tief, »Ihr kennt meine Loyalität und meine Treue. Solche Dinge liegen mir fern.«
»Du, Baruch de Espinosa!« Der König setzte sich im Bett auf. »Entweder bist du ein Dummkopf oder ein Schurke – oder beides zugleich. Du bist das Vertrauen nicht wert, das ich dir jahrzehntelang erwiesen habe. Ich weiß nicht, warum ich dich zu meinem Leibarzt ernannt habe. Du verkommener Jude, du bist nichts als ein Giftmischer, der meinen Tod wünscht. Aber den Gefallen werde ich dir nicht tun, das merke wohl!«
»Euer Exzellenz«, versuchte Baruch, »ich gebe nie die Hoffnung und den Glauben auf, dass Eure Gesundheit sich mit Hilfe meiner Medizin bessert, vor allem aber mit Hilfe Gottes, der Wunder tut und das Unmögliche bewirkt. Exzellenz haben noch ein langes Leben vor sich. Denn es gibt niemanden, der Eure Königliche Hoheit ersetzen kann.«
»Ich gebe keinen Deut auf Glauben und Hoffnung eines Giftmischers«, schrie der König und verbot Baruch, sich ihm je wieder zu nähern.
Am Ende ging alles sehr schnell. Die Zeit reichte nicht einmal, den Kardinal zu holen, um Alfonso Henriques die Beichte abzunehmen, ihm Absolution zu erteilen und ihn auf die letzte Reise vorzubereiten. Es gab ein unbeschreibliches Durcheinander am Hof, als die Leute erfuhren, dass der König gestorben war. Das Schloss widerhallte von Jammern, Schluchzen und Klagerufen.
TOD EINES GIFTMISCHERS
Baruch trauerte lange um seinen König. Für ihn war es, als hätte er einen Vater verloren.
Bis zu seinem eigenen Tod durfte er auch dem neuen König Sancho als Leibarzt dienen. Baruch bildete sich ein, sein Wissen mache ihn unentbehrlich. In Wahrheit handelte es sich eher darum, dass der Monarch sentimental war: Als er ein Kind war, hatte Baruch ihm einmal das Leben gerettet, nachdem er sich an Wildkastanien überessen hatte.
Es gibt verschiedene Darstellungen von Baruchs Tod.
Der Königsbiographie Amarals zufolge starb er an einer eigentümlichen, genetisch bedingten Magenkrankheit, die auch seine drei Söhne geerbt hatten.
Mein Großonkel vertrat eine andere Meinung. Er sagte: »Alles geht eine Zeitlang, aber am Ende geht es schief.« Ihm zufolge hatte der Winter des Lebens Baruch fett und schwerfällig werden lassen. Er suchte ständig nach einem Zugang zur Vergangenheit und strebte danach, gegen innere Widerstände, zunehmende Mattigkeit und Hoffnungslosigkeit ankämpfend, sich mit dem zu versöhnen, was er selbst als Todsünden ansah: seine abweichende Sexualität und die Lieblosigkeit gegenüber seinen Nächsten. Kurzsichtig und leicht verwirrt von Altersdemenz, verwechselte Baruch eines Tages zwei Flaschen. Die eine enthielt seine Magenmedizin, die andere eine von König Sancho bestellte Giftmischung, die dem aufsässigen Prinzen Braga zugedacht war. Der Leibarzt starb unter unsäglichen Qualen.
Ich selbst neige dazu, der Version meines Großonkels zu glauben. Denn alle Spinozas, die mit großer Nase geboren werden, sterben eines tragischen Todes.
3.
DER KABBALIST
ÜBER UNSERE VORFAHREN
In letzter Zeit kreisen meine Gedanken immer öfter um meine Familie. Alle sind tot: Mutter und Vater, mein Zwillingsbruder Sasha, Großmutter und Großvater, Tante Ilona und Onkel Carlo. Auch mein Großonkel, der während so vieler Jahre mit seinen die Phantasie beflügelnden Geschichten unsere Kindheit erhellte.
Es ist merkwürdig, wie das Leben einen lehrt, gewisse Menschen zu schätzen, deren Wert einem erst klar wird, wenn sie nicht mehr unter uns sind und uns fehlen. Möglicherweise kann ich mich damit trösten, dass meine leichtfertige Haltung, mich nicht um andere Menschen zu kümmern – solange ich zurückdenken kann, war ich nie imstande, etwas zu sehen, was das Leben anderer Menschen betraf, und war unfähig, den Bedürfnissen meiner Nächsten Aufmerksamkeit zu widmen –, sich mit den Jahren gelegt hat. Heute denke ich mehr an meine Familie als an mich selbst. Jetzt, da meine letzten Tage unaufhaltsam näher rücken und ich in Bälde zwischen die Schatten trete und verschwinde, habe ich nur noch eines im Sinn,
Weitere Kostenlose Bücher