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Das Elixier der Unsterblichkeit

Das Elixier der Unsterblichkeit

Titel: Das Elixier der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Gleichmann
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war Emmy heilig, und sie wünschte nichts mehr als ihr Leben der Forschung zu widmen. Sie erzählte Nathan einmal, sie habe ursprünglich Sprachen unterrichten wollen, aber erkannt, dass die logische Welt der Mathematik ihr mehr lag, dass sie jederzeit in sie eintreten könne, um dort eine vollkommene Ordnung herzustellen, während das Dasein im Übrigen von Chaos geprägt und von Zufällen regiert würde, vor allem von Männern, die ihr als Frau nicht die geringste Möglichkeit geben würden, sie zu beeinflussen. Die Wahrheit habe ein Gesicht, doch das habe nichts gemeinsam mit der Wirklichkeit, die wir Menschen in unserer Verwirrung rund um uns her sähen; sie musste in den Strukturen der Welt gesucht werden. Emmy machte auch kein Geheimnis aus ihrer Abneigung gegen Geld und aus ihrer Antipathie gegenüber der reaktionären bayerischen Oberklasse mit ihrer tiefgehenden Verachtung für Frauen, Juden, Homosexuelle und Arbeiter. Ihr Zukunftsglaube war unerschütterlich, auch wenn ihr bewusst war, wie lange es dauern würde, bis das Individuum bereit wäre, seinen Egoismus dem Wohl des Kollektivs unterzuordnen. Ihre Gedanken machten einen unauslöschlichen Eindruck auf Nathan.
ZURÜCK IN BUDAPEST
    Eines Tages erhielt Nathan einen Brief von der Anwaltskanzlei Gottfried & Gottlieb in Budapest. Darin wurde ihm mitgeteilt, dass sein Vater, Bernhard Spinoza, einem Herzinfarkt erlegen sei, und er wurde gebeten, sich so bald wie möglich mit dem Nachlassverwalter in Verbindung zu setzen, am besten durch persönliches Erscheinen. Nathan fühlte keine Trauer, er war eher gleichgültig. Er versuchte sich vorzustellen, wie der Vater gestorben war. Aber immer sah er nur den erigierten Penis des Vaters vor sich, der in Marikas Schoß eindrang. Der Vater schwitzte und keuchte, hielt inne, schrie laut auf, fasste sich an die Brust und fiel dann der Länge nach über Marikas nackten Körper.
    Advokat Géza Gottlieb ließ Nathan wissen, ein Nachbar habe seinen Vater zwischen dem dritten und vierten Geschoss im Treppenhaus gefunden. Der Aufzug hatte den ganzen Tag nicht funktioniert, und die Mieter mussten das Treppenhaus benutzen. Dabei habe er sich offenbar überanstrengt und einen Herzanfall bekommen. Er war bei Bewusstsein und wurde ins nächste Krankenhaus gebracht. Dort klagte er über Schmerzen im Brustkorb. Ein erfahrener Arzt untersuchte ihn und wollte ihm eine Spritze geben. Aber die Nadel machte Bernhard offensichtlich Angst, denn er begann, wild zu protestieren. Eine Krankenschwester versuchte, ihn zu beruhigen, während der Arzt einen neuen Versuch mit der Spritze unternahm. Da fing er an, erregt zu schreien, sein Gesicht lief rot an, er bekam Atemnot und erlitt einen Herzinfarkt. Fünf Minuten später war er tot.
    Da Bernhard kein Testament hinterlassen hatte und Nathan der einzige von den Söhnen war, den der Anwalt, der zugleich der Nachlassverwalter war, ausfindig machen konnte, wurde er als der rechtmäßige Erbe angesehen und konnte die Wohnung inklusive Einrichtung sowie das Bankguthaben des Verstorbenen übernehmen.
    Nathan wusste nichts von der Existenz des Buches
Das Elixier der Unsterblichkeit
. Sein älterer Bruder sollte ihm wenig später davon erzählen, als sie sich auf Moricz’ Initiative im Café Gerbeaud trafen. Nathan hatte seinen Bruder lange nicht gesehen und war verwundert darüber, dass Moricz in Begleitung eines österreichischen Freundes kam, den er erst kürzlich durch Mathäus Frombichler kennengelernt hatte. Er hieß Adi und hatte eine eigentümlich kalte Ausstrahlung; Nathan spürte einen intuitiven Widerwillen gegen ihn. Moricz berichtete in knappen Zügen, was er in den letzten Jahren getrieben hatte. Nathan war erstaunt, wie verändert sein Bruder war. Sein Charme war wie weggeblasen, seine unnachahmliche und fesselnde Erzählgabe ebenso. Er zeigte keinerlei Interesse daran, wie es Nathan ergangen war. Er berichtete, er habe einige Zeit in Chicago gelebt, doch da das FBI wegen einiger kleinerer Vergehen nach ihm fahndete, habe er es vorgezogen, die USA zu verlassen. Danach habe er als presbyterianischer Missionar in Toronto gearbeitet, doch die kanadische Einwanderungsbehörde habe ihm zu viele Scherereien gemacht. Deshalb sei er nach Europa zurückgekehrt. Nathan war natürlich klar, dass sein Bruder sich in Nordamerika nicht mit unschuldigen Dummejungenstreichen abgegeben hatte, doch er hielt es für klüger zu schweigen. Gegenwärtig war Moricz in Wien zu Hause. Dort war ihm, durch

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