Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Elixier der Unsterblichkeit

Das Elixier der Unsterblichkeit

Titel: Das Elixier der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Gleichmann
Vom Netzwerk:
Frombichlers Umsicht, zu Ohren gekommen, dass ihr Vater vor einigen Monaten gestorben war.
    Dann sprach er, plötzlich sehr viel lebhafter, von Benjamins Buch, das er vor vielen Jahren durch einen Zufall entdeckt habe, versteckt in einem Geheimfach ganz unten rechts im Schreibtisch des Vaters. Das Buch, das nur in einem Exemplar existiere, enthalte viele Prophezeiungen und unbegreifliches uraltes Wissen, aber auch die gesamte Familiengeschichte. Der Tradition zufolge, betonte er, gehe es stets an den ältesten Sohn jeder Generation. Er sei nach Budapest gekommen, um zu holen, was jetzt ihm gehöre. Adi und er hätten vor, das Buch einem deutschen Adligen mit wohlgefüllter Schatzkiste und heimlicher jüdischer Abkunft zu verkaufen. Nathan hörte beklommen und schweigend zu, während Adi und Moricz eifrig diskutierten, wie viel Geld das kostbare Stück ihnen einbringen würde. Moricz wusste sich gar nicht zu lassen vor Begeisterung darüber, dass sie mehr als hunderttausend Mark einsacken könnten, wenn sie, wie Adi sich ausdrückte, das Glück auf ihrer Seite hätten und die richtige Sorte Sammler an die Angel bekämen. Nathan überlegte, wie er dafür sorgen könnte,
Das Elixier der Unsterblichkeit
nicht in die Hände seines unzuverlässigen Bruders und seines unsympathischen Freundes gelangen zu lassen. Er sagte, Moricz könne am nächsten Tag gegen Mittag kommen und das Buch bei ihm abholen. Während er auf die Antwort wartete, senkte er den Kopf und starrte auf seine Finger. Natürlich war er erleichtert, als der Bruder dies ohne weiteres akzeptierte und nicht darauf bestand, das Buch sofort zu holen. Danach entschuldigte Nathan sich und erklärte, nicht ganz wahrheitsgemäß, er müsse einen Arzttermin einhalten. Er stand auf und eilte nach Hause, um das Buch zu finden und es in sichere Verwahrung zu bringen.
    Jeden Morgen, wenn ich aufwache, oft schon in der Morgendämmerung, spüre ich, dass ich immer schwächer werde, dass mir weniger und weniger Zeit bleibt. In düsteren Stunden sage ich mir, dass ich das, was ich begonnen habe, nicht werde abschließen können. Ein schrecklicher Gedanke. Aber mir ist in meinem Leben alles, was ich mir vorgenommen habe, misslungen. Jetzt appelliere ich an höhere Mächte, dass es diesmal anders sein möge. Seit vorgestern kann ich die Finger meiner linken Hand nicht mehr bewegen, weil die Metastasen auch den Arm angegriffen haben. Ich besitze aber immer noch einen brauchbaren rechten Zeigefinger, um alle losen Fäden dieses bunten Gewebes einzufangen und zusammenzuführen.
    Moricz und Adi tobten, als sie entdeckten, dass das Geheimfach im Schreibtisch leer war. Moricz schrie, Nathan sei ein räudiger Hund, er habe das Buch gestohlen, und Adi fuchtelte drohend mit einer Pistole herum. Nathan bat ihn, während ihm das Herz vor Angst fast stehen blieb, die Waffe wegzustecken, und versicherte, vor ihrem gestrigen Treffen noch nie von dem Buch gehört, geschweige denn es gesehen zu haben. Er schlug ihnen vor, die Wohnung zu durchsuchen, denn es sei ja nicht undenkbar, dass ihr Vater es an einen anderen Ort gelegt habe. Moricz und Adi hatten diese Anregung kaum nötig, sie schritten sofort zu Werke und durchkämmten die Wohnung, öffneten alle Schränke, zogen Schubladen heraus und leerten den Inhalt auf den Fußboden. Nach sechs Stunden hatten sie jeden Winkel durchsucht, jedes Zimmer auf den Kopf gestellt, jedes Buch in allen Regalen genau untersucht, aber
Das Elixier der Unsterblichkeit
nicht gefunden. Beide waren am Ende ihrer Kräfte. Als Nathan sie bat, ihm zu helfen, alles wieder an seinen Platz zu stellen, brach Moricz in schallendes Gelächter aus, das die Luft im Zimmer vibrieren ließ, und sagte laut, indem er sich Adi zuwandte: »Habe ich dir nicht gesagt, dass mein Bruder ein Witzbold ist?« Sie verließen die Wohnung, verkündeten jedoch, am nächsten Tag um die gleiche Zeit wiederzukommen. Nathan schlief in der Nacht unruhig und wachte gegen drei Uhr mit einem Ruck auf, schweißgebadet und mit dem Gefühl, eine eiserne Hand halte sein Herz umklammert. Beim nächsten Besuch trat Adi aggressiv und drohend auf, fuchtelte mehrmals mit der Pistole herum und versprach hoch und heilig, eines Tages nach Budapest zurückzukehren, notfalls mit einer ganzen Armee von Männern, die bereit wären, ihr Letztes zu geben, um dieses Judenbuch zu finden. Moricz schimpfte, abwechselnd auf Ungarisch und Deutsch, und verfluchte den Vater.
    Später konnte Nathan nicht begreifen, woher er

Weitere Kostenlose Bücher