Das Elixier der Unsterblichkeit
einer soliden Konstruktion aus schwarz lackiertem Gusseisen, die im Schlafzimmer stand, das Sasha und ich nach Großvaters Tod mit ihr teilten. Immer wieder ließ ich die Finger über die Platte auf dem Oberteil gleiten, auf der mit schönen Buchstaben der Name des Herstellers eingraviert war: Singer. Dieser wurde auf beiden Seiten vom goldgelben Emblem des Fabrikanten umrahmt, und das Ganze sah aus wie ein ehrwürdiges Adelswappen. Ich strich oft mit den Fingern über die blanken vertikalen Teile am Kopf der Maschine und über das Antriebsrad aus Edelstahl. Am meisten Freude machte es mir, auf das Fußbrett aus überzogenem Gusseisen zu treten. Dann setzte sich die Nähmaschine in Bewegung, dank eines Treibriemens, der in die Führung des Antriebsrads griff und sich wie eine brummende Hummel anhörte. Einmal hätte ich beinahe die Nadel abgebrochen, weil ich einer Eingebung folgend, ein Stück Holz unter das Füßchen geschoben hatte, wo der Nadelmechanismus saß. Gerade in dem Moment kam Großmutter ins Schlafzimmer. Sie gab mir eine schallende Ohrfeige und schimpfte: »Ist dir überhaupt nichts heilig? Kann ich nicht einmal die Nähmaschine für mich allein haben? Musst du auch noch das einzige Stück kaputtmachen, das ich besitze?«
Der lange erwartete Tag, an dem Nathan nach sechsunddreißig Monaten Gefängnis in Vác freigelassen wurde und nach Hause zurückkehren konnte, endete in einem Prachtstreit. Zu seiner Bestürzung erfuhr er, dass Sara ohne sein Wissen ihre Mutter in die Wohnung geholt hatte. Zahnlos und weißhaarig saß Mirjam in der Küche. Nathan konnte ihren Anblick nicht ertragen. In seinen Augen repräsentierte sie die Rückständigkeit, ja, den Stillstand in der jüdischen Welt. Sie war eine einfache Gemüseverkäuferin hinter einem wackligen Stand auf einem Armenmarkt und hatte nach fünfundzwanzig Jahren in Budapest keine drei Worte Ungarisch gelernt. Es war vollkommen undenkbar für ihn, sie bei sich wohnen zu lassen. Sara versuchte, ihn zu beschwichtigen. Sie erklärte, ihre Mutter sei krank, ihre Kräfte nähmen von Tag zu Tag ab, sie könne nicht mehr auf dem Markt stehen und mit ihren erfrorenen und rheumatischen Händen nicht einmal einen Apfel greifen. Außerdem habe Tante Luiza, die ihr ganzes Leben lang wie eine Sklavin gerackert und allein ihre fünf Kinder und eine senile Mutter versorgt hatte, eine Gehirnblutung bekommen. Weil sie mit der Miete im Verzug war, habe ihr herzloser Vermieter sie auf die Straße gesetzt. Tante Luiza und deren Mutter wohnten vorübergehend bei einem Nachbarn. Die beiden armen Frauen lebten von dem, was sie in Mülleimern fänden, und seien dem Hungertod nahe. Sie hätten jede Hoffnung aufgegeben. Ihr Elend spotte jeder Beschreibung. Ihre eigene Mutter, sagte Sara, brauche ein Dach über dem Kopf. Es sei undenkbar, sie nicht aufzunehmen. Was die Kosten betreffe, so habe sie eine Singer-Nähmaschine auf Raten gekauft und verdiene ein wenig nebenher, indem sie Näharbeiten aus dem Salon mit nach Hause nehme, die sie spätabends und nachts erledige. Zwischendurch helfe sie Tante Luiza mit Nahrungsmitteln und dann und wann ein wenig Geld aus. Aber weil sie so dringend Hilfe benötigten, habe sie gedacht – vorausgesetzt, Nathan sei damit einverstanden –, auch die beiden anderen Frauen bei sich einziehen zu lassen.
Nathan geriet in Rage und schrie, niemand könne von ihm verlangen, mit diesen alten Weibern Mitleid zu haben und sie sich aufzuhalsen. Er wolle nichts weiter, als mit seiner Frau ein normales Leben führen, und habe keine Lust, auch noch drei alte Weiber durchzufüttern. Mirjam standen die Tränen in den Augen. Sie schluchzte und sagte auf Jiddisch, sie gedenke keine Sekunde im Hause ihres Schwiegersohns zu bleiben, eines Juden, der nicht über den geringsten Anstand verfüge und einer hilflosen alten Frau weder ein wenig Fürsorge noch leibliche Speise bieten wolle. Das machte Nathan noch wütender, obwohl er nicht alle ihre Worte verstanden hatte. Mit stierem Blick fing er wieder an zu schreien. Sara bat ihn, leiser zu sein, damit ihr kleiner Sohn nicht wach würde, der neben dem Herd schlief. Aber Nathan hörte gar nicht zu, und da begann auch sie zu schreien. Erst nach über einer Stunde ebbte der Streit ab. Langsam gewann Nathan seine Fassung wieder und gab nach. Mirjam könne bleiben. Was Luiza und Erzsi anging, brauche er einige Tage Bedenkzeit. Er sagte, er sei müde, und schlug vor, dass sie schlafen gingen. Er hoffte, das eheliche
Weitere Kostenlose Bücher