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Das Elixier der Unsterblichkeit

Das Elixier der Unsterblichkeit

Titel: Das Elixier der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Gleichmann
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Neuankömmlinge anzunehmen und ihnen behilflich zu sein. Er konnte kein Deutsch und das Gespräch mit ihm wurde über einen Dolmetscher geführt. Schon bei ihrer ersten Begegnung bat Goldstücker Berija darum, zu erklären, warum es in der Ukraine, die doch für ihre blühende Landwirtschaft bekannt war, so viele hungrige Männer, Frauen und Kinder gab. Der Dolmetscher riet ihm verlegen, diese Frage nicht zu stellen. Aber Goldstücker ließ nicht locker. Keiner wusste, wie der Dolmetscher seine Worte wählte, aber alle konnten sehen, dass Berija die Frage missbilligte. Er nahm das Pincenez ab und wischte es mit seinem Taschentuch sauber. Es war offensichtlich, dass er keine Eile hatte, die Frage zu beantworten. Ein trockenes Rasseln stieg aus seinem Hals auf, bevor es ihm gelang, die Blockierung seiner Stimmbänder zu überwinden, und er erklärte, die unter der Zarenherrschaft lange rückständig gebliebene Ukraine mache jetzt einen umfassenden Strukturwandel durch. Man habe Pläne, dort fünf neue Stahlwerke zu errichten, sämtlich mit einer kompletten Produktionslinie vom Rohmaterial bis zum gewalzten Blech, was als einzigartig anzusehen sei, wenn man bedenke, dass die USA nur ein einziges derartiges Stahlwerk hätten, das in Cleveland. Die Produktion in diesen Stahlwerken werde sich auf drei Millionen Tonnen Grobblech pro Jahr belaufen. Goldstücker war mit der Antwort nicht zufrieden. Doch das Treffen wurde von Berija abgebrochen, ohne dass weitere Fragen gestellt werden konnten. Am nächsten Treffen mit Berija nahm Goldstücker nicht teil. Er erschien auch beim übernächsten Mal nicht. Da fragte Nathan, ob Berija wisse, wo der Genosse aus Berlin geblieben sei. Berija erwiderte, er habe darum gebeten, ins Donezkbecken reisen zu dürfen, um an der Einweihung des Dnepr-Damms teilzunehmen. Wann kommt er zurück, lautete Nathans nächste Frage. Darauf konnte Berija nicht antworten. Es sei kalt dort unten in der südlichen Ukraine, und der Genosse Goldstücker habe sich erkältet und liege mit einer Lungenentzündung im Krankenhaus. Nicht einmal die Ärzte könnten angeben, wann er genesen würde. Weitere Fragen wurden nicht gestellt. Die Stimmung wurde ein wenig trist und gedämpft. David Goldstückers Name wurde bei diesen Treffen nie mehr erwähnt.
    Moskau war kein Paradies, in dem man sich aus der Wirklichkeit hinausträumen konnte. Sechs Jahre sowjetischer Alltag heilten Nathan von den meisten seiner Illusionen. Aber sie lähmten auch seine Zunge, obwohl er sich dessen bewusst war, dass wer schweigt, oft nur dem Bösen dient. Er kam sich wankelmütig und schwankend vor. Je stärker Hitler seine Armee aufrüstete, desto größer wurde der Schlagschatten der Angst. Und je näher der Krieg rückte, desto düsterer waren die Bilder, die Nathans Phantasie entwarf. Die Ohnmacht der Juden in Europa brachte ihn um die Nachtruhe, statt zu schlafen, grübelte er. Er dachte an Sara und die Kinder, die er allein gelassen hatte, und fürchtete um ihre Zukunft. Seine eigene Sicherheit war auch nicht gewährleistet. Stalins Paranoia hatte schon lange in den Reihen gewütet, nur noch eine Handvoll Genossen aus der Parteispitze waren am Leben. Das Wissen darum auszuhalten fiel ihm immer schwerer. Nicht zuletzt, weil er ahnte, dass es wenig nützen würde, sich auf Jahrzehnte ungebrochener Loyalität gegenüber der Partei zu berufen. Ein Gerücht jagte ihm besondere Angst ein: Béla Kun, mit dem er zusammengearbeitet hatte, sei in Ungnade gefallen. Nathan war klar, was das bedeutete. Er verlangte, unverzüglich nach Budapest zurückkehren zu dürfen, um von dort aus den Kampf gegen den Feind zu führen.
AUS ANDEREN GRÜNDEN
    Keiner in unserer Familie hatte Lust, über das zu reden, was während der Kriegsjahre geschehen war. Wann immer Sasha und ich etwas über diese Zeit wissen wollten, senkten die Erwachsenen die Köpfe, richteten den Blick auf den Fußboden und peinliches Schweigen trat ein. Am schlimmsten waren Vater und Mutter – sobald der Krieg zur Sprache kam, wechselten sie das Thema. Aber auch mein Großonkel, der mit Shoshanas Hilfe von jenseits des Grabes Einsicht sowohl in die Vergangenheit als auch in die verborgenen Winkel der menschlichen Seele gewonnen hatte, vermied dieses Thema. Vielleicht wollten sie Sasha und mir all das Furchtbare ersparen, das sie erlebt hatten. Denn in der Thora steht: Es werde Licht, sagte Gott, und es ward Licht. Etwas in Worte zu kleiden heißt, ihm Leben zu geben. Wir Juden sind ja

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