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Das Elixier der Unsterblichkeit

Das Elixier der Unsterblichkeit

Titel: Das Elixier der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Gleichmann
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einem Monat wird die Tinktur durch ein dünnes Gewebe gefiltert und muss danach achtzehn Stunden ruhen.
    Sieben Tropfen dieses Mittels vertreiben den Tod und schenken ewiges Leben.
    Eines Tages, als Baruch spürte, nicht mehr im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte zu sein, und im Wissen darum, bald seinem Schöpfer gegenüberzutreten, erzählte er seinem ältesten Sohn Simon von der Pflanze Raimundo und von der Kunst, die Tinktur herzustellen. Zuerst musste Simon jedoch feierlich versprechen, niemandem außer seinem ältesten Sohn das Geheimnis zu enthüllen und unter keinen Umständen die Tinktur herzustellen und davon zu kosten.
    »Ich schuf das Kraut Raimundo«, erklärte Baruch, »weil ich wünschte, dass mein König für immer leben und das Land regieren sollte. Alfonso Henriques war ein mächtiger Mann, der jedem, auf den er seinen strengen Blick richtete, Schrecken einjagte. Er hasste Ungehorsam. Wenn ein Untertan gegen seine Regeln und Gesetze verstieß, ließ er ihn zu den beflissenen Folterknechten in den Kerker werfen. Niemand überlebte länger als drei Tage in der Gesellschaft dieser Handlanger des Bösen, die über ein seltenes Talent verfügten, Menschen zu Tode zu quälen. Alle fürchteten sich vor dem König, und das wusste er. Aber zu mir war er wie ein Vater, und er hat mich stets geschützt. Dies weckte böses Blut bei den Adligen. Der Neid zerfraß ihre Seele, sodass sie das Gerücht verbreiteten, ich sei eine Art Hexenmeister, der zu nichts anderem tauge, als Menschen zu vergiften. Ich war in meinem Herzen und meiner Seele immer ein weicher Mensch, und meine Position als der einzige Jude am Hof war alles andere als sicher. Trotz ihres vornehmen Auftretens waren viele Höflinge falsch wie Klapperschlangen und schienen es zu genießen, hinter meinem Rücken schlecht und abfällig über mich zu reden. Ich glaubte, dass nach dem Tod Alfonso Henriques’ meine Tage bei Hofe gezählt seien. Wie du verstehen wirst, dachte ich in erster Linie an mich selbst und meine Familie, als ich das Kraut Raimundo schuf, damit der alternde König ewig leben solle. Aber eines Tages, gerade als ich ihm sieben Tropfen des Mittels geben wollte, tat er etwas, was mich empörte. Etwas in mir zerbrach. Der König wurde senil und beging schändliche Handlungen. An diesem Tag erzürnte ihn ein Diener, der ein paar Tropfen Wein auf dem Tisch vergossen hatte. Er stieß, Verwünschungen brummend, mit einem Dolch auf den Diener ein und stach ihm das rechte Auge aus. Nie werde ich die Schmerzensschreie des Lakaien, sein verzerrtes Gesicht und das strömende Blut vergessen. Ich wollte dem armen Kerl helfen, aber der König verbot mir einzugreifen und lachte höhnisch. Das Auge war nicht zu retten. Da wurde mir plötzlich klar, wie widerwärtig die Vorstellung war, dass ein immer verwirrterer Alfonso Henriques in Ewigkeit eingebildete Feinde bestrafen und treue Untertanen foltern und köpfen ließe. In diesem Augenblick erkannte ich, dass es auf Erden keinen schlimmeren Fluch geben kann als ewiges Leben. Glaub mir: Es ist der Sonnenuntergang, der unseren Tagen Gewicht, Schönheit und Glanz verleiht. Das Leben ist kurz, und es ist das erste Geschenk unseres Schöpfers an uns. Das zweite ist der Tod, für den wir demütige Dankbarkeit empfinden sollten.«
    Simon lauschte mit ernster Miene und fragte sich, ob er den letzten Satz dieser langen Ansprache richtig verstanden hatte. Er konnte nicht begreifen, dass man Dankbarkeit darüber empfinden sollte, diese Welt, die ihm so herrlich erschien, eines Tages verlassen zu müssen. Doch der Respekt vor dem Vater hinderte ihn daran, seine Gedanken auszusprechen.
    Das einzige, was er herausbekam, war: »Vater, Ihr könnt doch unendlich lange leben, Ihr braucht doch nur das Kraut Raimundo anzuwenden.«
    »Simon, wenn man spürt, dass das Erinnerungsvermögen und die Denkfähigkeit nachlassen, dann ist es Zeit, eine bewusste Wahl zu treffen und seinen Kopf dem Tod anzubieten. Denk daran, in einem gewissen Alter ist es die Furcht vor dem Tod, nicht die Freude am Leben, die die Menschen an ihren Körper fesselt.«
    »Ich verstehe Euch, Vater«, antwortete Simon, »aber verübelt es mir nicht, wenn ich nicht alles begreife. Warum erzählt Ihr mir dies alles und gebt das Wissen über das Elixier an mich und meine Nachkommen weiter, wenn kein Gebrauch davon gemacht werden soll? Wäre es nicht einfacher gewesen, das Rezept geheim zu halten und es zu zerstören?«
    »Als ich jung war«, erklärte

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