Das Elixier der Unsterblichkeit
seine Frau sich kümmern. Jede Niederkunft begrüßte er mit Zorn und Ohnmacht. Er untersagte es sich, seinen Töchtern gegenüber Zärtlichkeit zu zeigen. Er versuchte, sie zu ignorieren, und tat alles, um sie zu vergessen. Zurückgezogen verbrachte er seine Tage in einem entlegenen Teil des Hauses.
Israel war der Leibarzt des Königs und Lissabons geachtetster Arzt. Aus Furcht, sein Ansehen zu verlieren, wagte er nicht, Kollegen um Rat zu fragen. Stattdessen suchte er heimlich Quacksalber und Wunderheiler auf. Diese beteuerten, der Fehler liege bei seiner Frau, da der Mann von Natur aus höher stehe als die Frau. Einer schlug ihm vor, seine Frau zehn Tage und Nächte den Urin eines trächtigen Esels trinken und getrocknete Palmblätter essen zu lassen. Ein zweiter riet ihm, seine Frau solle, obwohl sie Jüdin sei, bei einem Priester beichten, dreimal täglich zur Jungfrau Maria beten und eine Woche nach der Menstruation fasten. Der dritte mischte eine bittere Medizin aus seltenen Pflanzen. Als Israels Frau sie trank, wurde ihr übel, sie bekam hohes Fieber und spuckte Blut. Aber sie war bereit, alle erdenklichen Opfer auf sich zu nehmen, um ihren Mann glücklich zu machen. Doch nichts schien zu helfen.
Eines mondhellen Abends, als alle Möglichkeiten ausgeschöpft zu sein schienen, beschloss seine Frau, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Sie wollte die Welt nicht verlassen, ohne ihrem Mann einen gesunden Sohn zu gebären, der nach seinem Tod das Kaddisch für ihn sprechen und sein Vermögen erben würde. Sie schlug Israel vor, sich mit ihr zusammen nackt auszuziehen und bis Mitternacht ihren Körper zu streicheln. Danach sollte er in sie eindringen und sein Glied bis zum Morgengrauen in ihrem Schoß ruhen lassen. Israel ging widerwillig darauf ein.
Neun Monate später erfüllten Freudenrufe das Haus. Israel beugte sich über das Neugeborene, küsste dem Jungen die Stirn und gab ihm den Namen Chaim, was auf Hebräisch »Leben« bedeutet.
DER JÜNGLING AUS LISSABON
Chaim hatte also zwölf Schwestern und war das jüngste Kind. Bei seiner Geburt bestand kein Zweifel daran, dass er es war, Israel de Espinosas einziger Sohn und ganzer Stolz, der das Ansehen der Familie und ihre berufliche Tradition weitertragen würde.
Der ersehnte Erbe war ein Abbild seines Vaters, wenn man davon absah, dass der Junge nicht Israels gigantische Nase hatte. Er kam mit einem Altmännergesicht zur Welt – er sah aus wie ein Sechzigjähriger, runzelig, kahlköpfig und mit eingefallenen Wangen, als hätte er schon längere Zeit den anstrengenden Dienst als Arzt am Hof des portugiesischen Königs versehen.
Keins der Familienmitglieder gab offen zu, was es beim Anblick des hässlichen Jungen dachte, denn zu jener Zeit hatten Frauen nicht die Gewohnheit, Dinge beim rechten Namen zu nennen. Nur die älteste der Schwestern, die ihre Umgebung häufig durch ihre Offenheit brüskierte, gab einen Kommentar von sich.
Leah hatte das Zweite Gesicht. Sie warf einen Blick auf das Neugeborene und erklärte, ein Fluch laste auf ihm. Der Vater gebot ihr zu schweigen und erwiderte, an einem Tag wie diesem sei neben dem Wohlwollen des Himmels auch menschliche Freude und Großherzigkeit angebracht. Leah entgegnete, sie könne die bedauerliche Wahrheit nicht verschweigen, denn auf der Stirn des Jungen sei deutlich eingeschrieben, dass der ersehnte Sohn große Schande über die Familie bringen werde.
Der Vater wies seine Tochter zurecht und sagte, ihre Worte seien Ausdruck eines unergründlichen Neides, sie sei böse und solle sich schämen. Dass die Familie endlich einen Erben bekommen habe, sei ein Geschenk des Himmels, denn ein gnädiger Blick sei auf einen Schoß gerichtet worden, der bislang nur Mädchen habe hervorbringen können.
Doch Leah blieb hartnäckig. Mit zornverzerrtem Gesicht drohte Israel seiner Tochter, ihr die scharfe Zunge abzuschneiden, wenn sie noch ein einziges Wort sagte. Dann befahl er ihr, sich auf der Stelle zu entfernen und sich nie wieder zu zeigen. Die Töchter bekamen Angst. Keine der Schwestern hatte den sanften Vater jemals wütend gesehen oder gehört, dass er laut wurde. Seine Frau glaubte gar, die Freude darüber, endlich Vater eines Sohnes geworden zu sein, habe Israel seines Verstandes beraubt.
Leah erschrak und versteckte sich in einem Verschlag auf dem Dachboden. Sie gab fast dreißig Jahre lang keinen Ton von sich und verließ ihr Versteck kein einziges Mal.
Ein Jahr löste das andere ab. Eines Nachmittags
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