Das Elixier der Unsterblichkeit
gefoltert worden, ohne dass dies seinen Widerstand brach – und sein ganzer Körper war von blutenden Wunden bedeckt, als der Büttel des Großinquisitors Tomás de Torquemada ihn auf den Scheiterhaufen vor der Kathedrale von Sevilla warf. Es geschah im März des Jahres 1487. Das ist alles, was ich jetzt erzählen will.
Allerdings kann ich auch schon verraten, was er einen Monat später tat. Er erstand von den Toten auf und feierte den Sabbat bei Freunden in Dubrovnik, um danach seinen langen dunklen Mantel die Landstraßen entlang der Küste des Adriatischen Meeres fegen zu lassen, durch kleine weiße Städte zu wandern, die in verschlafenem Alltag versunken waren, und unter gläubigen Juden das siebte Buch Mose zu verbreiten, dieses äußerst sonderbare Buch, das er selbst verfasst hatte.
Salmans Geschichte macht einen wichtigen Teil des Schicksals der Familie Spinoza aus. Aber das ist eine lange Erzählung, und ich bin nicht mehr in der Lage, so viel Zeit an der Schreibmaschine zu verbringen. Ich muss heute von etwas schreiben, was nicht so umfassend ist. Zum Beispiel das, was ich über meinen Großonkel weiß.
WIE AUS EINEM KINDERBUCH
Mein Großonkel war nicht blutsverwandt mit uns, er war nur zufällig mit einer von Großmutters fünf Cousinen verheiratet gewesen – noch dazu der unsympathischsten, wie sie zu sagen pflegte. Aber ihm lag daran, den Kontakt zu uns zu halten, und er wusste alles Wissenswerte über die Familie Spinoza. Von ihm lernte ich, dass wir für die Geschichte Europas von großer Bedeutung waren. Manchmal war ich mir jedoch nicht sicher, ob ich froh darüber sein oder mich dessen schämen sollte. Aber alle Zweifel verflogen, sobald mein Großonkel zu Besuch kam.
»Spinoza ist ein Name, den man mit Stolz trägt«, pflegte er zu sagen. »Ihr gehört zum Salz der Erde.«
Mein Bruder Sasha und ich waren stolz. Obwohl ich nicht richtig begriff, was das Salz der Erde mit unserer Familie zu tun hatte.
Als Kinder hörten wir nie ein Wort über das Leben meines Großonkels oder über seine Familie. Er erzählte stundenlang über unsere fernen Ahnen, war aber wortkarg, wenn er von sich selbst sprechen sollte.
Einmal allerdings lächelte er über eine ferne Erinnerung und rezitierte heiter etwas, was sich anhörte wie ein Abschnitt aus einem Kinderbuch:
»Es stimmt nicht, dass mein Vater Schauspieler ist, das ist nur eine Verkleidung. In Wirklichkeit ist er der reichste Mann der Welt. Er besitzt mehrere Paläste in verschiedenen Ländern, ein Schloss am Mittelmeer, eine Kaffeeplantage in Brasilien und ausgedehnte Reisfelder in China. Er hat auch im Schwarzwald, wo die Donau entspringt, tiefe Tunnel graben lassen und sie mit Gold und Edelsteinen gefüllt.«
Wir hörten ihm zu und sahen ihn an, wenn auch ein wenig enttäuscht, denn er weigerte sich, mehr zu sagen.
Bei anderen Gelegenheiten antwortete er, nachdem er einen Moment sein Gehirn angestrengt hatte, dass wir keinerlei Freude daran haben würden, Geschichten über sein Leben oder das seiner Familie zu hören, denn deren Dasein sei handlungsarm und uninteressant verlaufen.
Sasha und ich hatten den Verdacht, dass dies nicht ganz der Wahrheit entsprach. Aber wir mussten uns damit abfinden, dass mein Großonkel gute Gründe dafür hatte, uns seine eigene Geschichte vorzuenthalten.
DAS MORMONENARCHIV
Kurz nach Mutters Tod reiste ich in die USA. Bei einer Zwischenlandung auf dem Flugplatz von Chicago fiel mein Blick auf einen Artikel im Morning Star, der führenden Zeitung der Stadt:
»In einem großen Berg in den Rocky Mountains, östlich von Salt Lake City, Utah, befindet sich eins der bemerkenswertesten Archive unseres Landes. Es liegt in unterirdischen Tunneln, die aus dem Fels herausgehauen und durch labyrinthische Gänge miteinander verbunden sind. Die Eingänge sind durch Stahltüren und ausgefeilte Bewachungssysteme gesichert. Der Zutritt zu den hunderttausenden von Mikrofilmen, die dort aufbewahrt werden, ist streng begrenzt.
Die Temperatur in den unterirdischen Räumen beträgt konstant vierzehn Grad, die Luftfeuchtigkeit liegt zwischen 40 und 50 Prozent. Die durch das Ventilationssystem hereinströmende Frischluft wird gefiltert, um eine chemische Verunreinigung in den Räumen zu verhindern.
Die gegenwärtig im Berg aufbewahrten Informationen könnten neunzig Millionen Bücher von je dreihundert Seiten füllen. Doch dies ist kein supergeheimes militärisches Archiv. Hier finden sich die Namen von achtzehn Milliarden Menschen,
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