Das Elixier der Unsterblichkeit
Umständen hierüber zu sprechen.
Er erzählte, dass im Frühjahr 1952 die kommunistischen Parteien in Osteuropa eine Handvoll prominenter Führer des Verrats angeklagt und anschließend hatten hängen lassen. Die Sündenböcke sollten die Unzufriedenheit des Volkes mit den Herrschenden in andere Bahnen lenken. Die Propagandaabteilungen löschten augenblicklich die Namen dieser Kommunisten aus der Geschichte aus, und natürlich aus allen Bibliotheken. Viele waren jüdischer Herkunft. Bei ihrer Jagd nach Verrätern waren die Bürokraten peinlich genau und taten des Guten zu viel. Wo Moishe de Espinosas Name gestanden hatte, fanden sich nur noch leere Zeilen.
Ich tue mich immer schwer mit Schlussfolgerungen, Zusammenfassungen, hübsch geschnürten Lebenspaketen. Mich zieht es zum Zufälligen, zum Abweichenden und Unerklärlichen. Ich habe eine Vorliebe für überflüssige Details. Vielleicht kann dies erklären, warum ich mich an unwesentliche Dinge oft besser erinnern kann als an das, was in einer Geschichte wirklich wichtig ist.
Folgende Dinge erzählte uns mein Großonkel über Moishe de Espinosa:
I.) In den ersten drei Monaten nach dem Tod seines Großvaters schlief Moishe leicht und traumlos. Der Verlust machte ihn krank, und seine Gedanken galten ausnahmslos dem Rabbi Orabuena.
II.) Muhammed III. wurde als Sultan von Granada allgemein verabscheut, denn er führte Granada wirtschaftlich und politisch ins Verderben. Mit jedem neuen Tag wuchs die Schar seiner Feinde. Dennoch war er äußerst zufrieden mit sich selbst, mehr als ein vernünftiger Mensch es mit Fug sein konnte.
»Halsstarrigkeit und feste Überzeugungen sind der Beweis für Muhammeds Dummheit«, pflegte Nasir zu sagen. Oder: »Es gibt keinen Esel zwischen hier und Bagdad, der so selbstsicher und entschlusskräftig ist wie mein Bruder.«
Sieben von Trauer und Elend erfüllte Jahre wartete Nasir auf den richtigen Augenblick, bevor er eine Schar treuer Männer sammelte, die durch ihr gemeinsames Interesse, den Tyrannen zu stürzen, vereint waren. Muhammed wurde verjagt und floh nach Almunécar.
Unter der Herrschaft Nasirs wurde ein neues Blatt in der Geschichte Granadas geschrieben. Er studierte Astronomie und widmete der Naturwissenschaft mehr Zeit als der Kunst des Krieges. Als er hörte, dass der Rabbiner Orabuena gestorben und seine Frau ihm ein halbes Jahr später nachgefolgt war, lud er Moishe ein, in der Alhambra zu wohnen und bei Yussuf al-Rahman, dem Philosophen am Hofe, zu studieren.
III.) Die Menschen in Granada hatten im Sommer 1325 viel Gesprächsstoff. Ismael I. wurde von seinem Cousin getötet, der unter dem Namen Muhammed IV. den Thron bestieg und der sechste Nasriden-Sultan wurde. Yussuf al-Rahman, der große Denker der Stadt, war plötzlich erkrankt und gestorben, kurz nachdem seine jüngste Tochter Hasna sich mit seinem Lieblingsschüler Moishe de Espinosa verheiratet hatte. Eine Frau wurde wegen Ehebruchs verurteilt und sollte in einem Sack, der in den Fluss Beiro geworfen wurde, ertränkt werden, doch als man am folgenden Tag den Sack hochzog, atmete sie noch. Dass sie noch lebte, bewies, dass sie unschuldig war. Im Triumph wurde sie zur Stadt zurückgebracht. Am Abend des Johannistages wurde am westlichen Horizont eine gewaltige Feuerkugel beobachtet; sie leuchtete wie ein böses Auge. Ahmed Husseini, der führende Astrologe in Granada, erklärte, es handle sich um einen Kometen von feindseligem Aussehen, und gab die düstere Prophezeiung ab, der Komet werde die Pestepidemie aus der Unterwelt mit sich bringen.
IV.) Moishe berechnete die Bahn des Kometen. Um seiner Sache sicher zu sein, benutzte er den Schlüssel – die Schachzüge –, den seine Mutter ihn gelehrt hatte. Er stellte fest, dass der Komet nicht auf Kollisionskurs mit der Erde war, und meinte, er werde sich in dreihundertfünfzehn Jahren wieder zeigen. Das Resultat seiner Berechnungen legte er dem neuen Sultan vor und verbürgte sich dafür, dass das Weltall nicht aus dem Gleichgewicht geraten würde. Muhammed IV., war nicht nur erleichtert, sondern auch beeindruckt. Er schlug vor, Moishe solle zum Islam übertreten und die Stelle seines Lehrers als Hofphilosoph übernehmen. Moishe lehnte das Anerbieten demütig ab und bat darum, Jude bleiben und sich freier Gedankenarbeit widmen zu dürfen. Der Sultan bewilligte ihm dieses Recht ohne weitere Bedenken und gab ihm auch die nötige finanzielle Unterstützung.
V.) Moishe und Hasna hatten fünf Kinder, sämtlich
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