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Das Elixier der Unsterblichkeit

Das Elixier der Unsterblichkeit

Titel: Das Elixier der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Gleichmann
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der kommunistische Diktator Béla Kun die Vorstellung. Als der Beifall nach Ervins Nummer verebbt war, hörte man eine Stimme aus dem Publikum: »Wie lange kann es gehen, wenn Not und Nahrungsmangel im Land herrschen? Wir haben kein Brot, kein Gemüse, kein Fleisch.«
    Béla Kun war sogleich klar, dass diese Worte ihm galten. Er stand von seinem Platz in der königlichen Loge auf und rief heiter ins Publikum: »Es geht schon, ihr werdet sehen, dass es geht.«
    Einige Abende später brach Ervin auf der Bühne zusammen und wurde bewusstlos in ein Krankenhaus gebracht. Er lag eine ganze Woche im Koma. Am letzten Tag seines Lebens waren ihm jedoch einige schöne Augenblicke vergönnt. Béla Kun, von einer Schar Journalisten umgeben, besuchte ihn im Krankenhaus und verlieh ihm die höchste Theaterauszeichnung des Landes. Ervin wurde dekoriert und nahm einen gigantischen Strauß roter Rosen entgegen. Eine Stunde später starb er.
    Über fünfzigtausend Menschen begleiteten ihn auf seinem Weg zur letzten Ruhe. Der Sarg war mit einer Fahne in der roten Farbe des Kommunismus drapiert. Béla Kun hielt eine Grabrede. In mitreißenden Worten huldigte er dem großen Artisten, der dem Proletariat einen Strom großartiger Impulse geschenkt und neue künstlerische Perspektiven für die Brüderlichkeit der Menschheit eröffnet habe. So wurde Ervin Scharf der erste und einzige künstlerische Märtyrer der ungarischen Räterepublik.
DER GRÖßTE LÜGNER DER WELT
    Schon als kleiner Junge erzählte mein Großonkel gern Geschichten. Eine, die nie müde wurde, ihm zuzuhören, war Sara, das Nachbarmädchen – und dazu meine zukünftige Großmutter. Wenige seiner Geschichten waren ganz wahrheitsgemäß, aber das kümmerte Sara nicht.
    Eines Sommerabends bei einbrechender Dämmerung bekam Franci Lust, dem Nachbarmädchen zu imponieren, und versprach ihr, ein großes Geheimnis zu lüften, allerdings musste sie zuerst schwören, unter keinen Umständen irgendjemandem ein Wort davon zu sagen. Dann erzählte er ihr, so überzeugend er es vermochte, dass sein Vater gar nicht Schauspieler sei, das sei nur eine Verkleidung. In Wirklichkeit sei er der reichste Mann der Welt. Er besitze mehrere Paläste in verschiedenen Ländern, ein Schloss am Mittelmeer, eine Kaffeeplantage in Brasilien und ausgedehnte Reisfelder in China. Er habe auch im Schwarzwald, wo die Donau entspringt, tiefe Tunnel graben lassen und sie mit Gold und Edelsteinen gefüllt.
    »Wie ist dein Papa denn so reich geworden?«, fragte Sara stark beeindruckt.
    »Mein Vater ist Bandit«, erklärte Franci. »Er raubt Banken aus. Er hat ein Gewehr.«
    »Aber warum muss er dann leben wie ein armer Schauspieler?«
    »Damit die Polizei nicht kommt und ihn ins Gefängnis wirft. Er ist auch der Anführer von fünfhundert Banditen, die er in die ganze Welt ausschickt, um Banken auszurauben. Die Männer liefern ihre Beute bei ihm ab.«
    Sara konnte sich nur schwer vorstellen, dass Herr Scharf, den sie oft über den Hof hatte torkeln sehen und der Mühe hatte, im Treppenhaus das Gleichgewicht zu halten, ein gefährlicher Bandit sein sollte. In ihre Augen trat Skepsis.
    Franci merkte es und fügte schnell hinzu: »Ich habe noch ein anderes Geheimnis, das ich niemandem erzählt habe. Schwöre, dass du es keinem weitersagst.«
    »Ich schwöre«, murmelte Sara.
    »Mein Vater ist auch der beste Zauberer der Welt. Er kann in Bankgewölbe eindringen, ohne dass ihn jemand sieht. Er liest eine Zauberformel, die er in der Kabbala gefunden hat, dann fliegt er fünf Meter in die Luft und macht sich unsichtbar.«
    Er erwartete, dass Sara mehr wissen wollte, aber sie saß schweigend und nachdenklich da.
    »Meine Mutter«, fuhr er fort, »ist eine Tochter von Graf Esterházy. Sie ist in einer Klinik in Wien. Als sie erfahren hat, dass mein Vater ein gefährlicher Bandit war und sechs Frauen in verschiedenen Ländern hatte, ist sie wahnsinnig geworden. Das dicke Mädchen mit den Pausbacken, das so tut, als ob es unsere Schwester wäre und sich um uns kleinere Geschwister kümmert, ist in Wirklichkeit die Komplizin meines Vaters. In seinem Schloss in Portugal hält Vater auch eine Prinzessin gefangen. Er hat sie an eine Säule gekettet, damit sie nicht fliehen kann. Sie heißt Kunigunda, und Vater will, dass ich sie heirate, wenn ich groß bin. Sie hat goldene Haare bis zu den Fußknöcheln.«
    »Franci, du lügst. Du bist der größte Lügner auf der ganzen Welt. Es ist schrecklich. Man kann kein Wort glauben

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