Das Elixier der Unsterblichkeit
an sinnlichen Ausschweifungen berauschte, desto schneller geriet sein politischer Lehrmeister in Vergessenheit.
»Das Leben ist kurz«, sagte er immer. »Und Michail Aleksandrovitsch Bakunins Arbeiten sind sehr lang.«
Eines Tages, als Andrej seinen Samen in den Mund einer jungen Theaternovizin entleerte, wurde er auf frischer Tat ertappt. Der Glaube seiner Ehefrau an ihn erhielt einen ersten Dämpfer. Bald zeigte sich auch, dass drei Schauspielerinnen des Ensembles von ihm schwanger waren. So musste er sein Bühnendebüt vor einem hemmungslos lachenden Publikum mit einem von langen roten Streifen zerkratzten Gesicht absolvieren, das ihm seine Frau in einem Anfall hysterischer Eifersucht verpasst hatte. Ihre gewalttätigen Finger machten ihm mehr Angst als die russische Polizei. Aber sie hielten ihn nicht von weiteren Seitensprüngen ab.
Andrej und seine Ehefrau hatten einander ewige Liebe geschworen. Aber die Ehe wurde schon nach einem Jahr aufgelöst, denn die Gemahlin hatte genug von Andrejs heiligen Versprechen und geschworenen Eiden, die er nicht halten konnte.
Herskovics war verstimmt und warf seinen Schwiegersohn aus dem Theater. Andrej bewarb sich bei der Nationalen Bühne, konnte aber weiterhin nur wenig Ungarisch vorweisen, sodass kein Regisseur ihm Arbeit geben wollte. Es war niederschmetternd für einen jungen Mann, der das Theater liebte. Er fand jedoch einen Ausweg. Ungeniert wie immer verführte er die Ehefrau des Theaterbesitzers, eine Frau in mittleren Jahren, die mit mütterlicher Strenge ihren Mann managte. Es dauerte nicht lange, bis Andrej die künstlerische Leitung des Theaters übernommen hatte, umgeben von einem Hof serviler Regisseure und williger Schauspielerinnen.
ERVIN UND ANNUSJKA
Andrej hatte so viele Kinder mit ebenso vielen Frauen, dass er sämtliche Finger an beiden Händen benutzen musste, um sie aufzuzählen. Nur eins von diesen Kindern war nicht unehelich geboren – Fernandos Vater Ervin.
Er verbrachte seine Kindheit im Theater des Großvaters und entwickelte eine starke Leidenschaft für den Beruf des Schauspielers. Als Neunzehnjährigem wurde ihm die Titelrolle in
Hamlet
auf der Bühne des Nationaltheaters angeboten. Alle wussten – natürlich auch Ervin –, dass er dies seinem Vater zu verdanken hatte. Das Theaterleben in Budapest war von Vetternwirtschaft und Kameraderie geprägt. Dennoch war er grenzenlos glücklich. Während einer Probe kam der Vater zu Besuch, blieb fünf Minuten und gab eine Reihe feiner Beobachtungen über Regie und Schauspielkunst ab. So ergiebig seine Ratschläge auch gewesen sein mochten, Ervins Nerven hielten nicht stand, und es gelang ihm nicht, den Ton zu treffen, der die Qualen des verträumten dänischen Prinzen hätte lebendig werden lassen. Das Publikum blieb der Aufführung fern, und die Kritik war schonungslos. Ein Rezensent schrieb: »Man muss wohl der Vater des jungen Scharf sein, um das Sublime darin zu sehen, dass Hamlet sich in seinem Monolog verheddert wie eine Katze in einem Wollknäuel.«
So wurde Ervin schon in jungen Jahren klar, dass er seine Zukunft nicht auf einer Theaterbühne finden würde. Er war enttäuscht und verärgert. Er fühlte Ohnmacht. Er weinte. Das Fiasko bekräftigte, dass er seinen Vater nie stolz machen könnte.
»Es reicht nicht, mit Nachnamen Scharf zu heißen«, stellte Andrej herablassend fest. »Man braucht auch ein bisschen Talent, sonst wird das Ergebnis nur trostlos. Du musst versuchen, den Rückschlag zu nehmen wie ein Mann.«
Aber Ervin war noch kein Mann, sondern ein unerfahrener Junge. Es fiel ihm schwer, die Kritik abzuschütteln, vor allem die harten Worte des Vaters. Er hatte gehofft, Trost zu erhalten, vielleicht sogar ein wenig Aufmunterung zu hören, zumindest den Lieblingsausdruck des Vaters: »Man darf nie aufgeben, man muss es immer wieder neu versuchen.«
Ervin verfiel der Trunksucht. Der Alkohol behinderte seine Karriere noch zusätzlich. Die großen Theater weigerten sich, ihn zu engagieren. Junge wie ältere Schauspieler schämten sich nicht, die Theaterchefs mit Bitten um attraktive Rollen zu bestürmen. Sie lobten sich selbst und schmeichelten den Regisseuren. Aber Ervin brachte es nicht über sich, um Rollen zu betteln. Er wurde auch zu einer Last für Andrej, der ihn mied.
Ervin und seine Frau Annusjka hatten eine Tochter und fünf Söhne. Stets hungrig, wurden die Kinder Zeugen des allmählichen Verfalls ihres Vaters. Ständig enttäuschte Erwartungen hatten seine Hand
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