Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Elixier der Unsterblichkeit

Das Elixier der Unsterblichkeit

Titel: Das Elixier der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Gleichmann
Vom Netzwerk:
Hasna war die Tochter des berühmten arabischen Philosophen Yussuf al-Rahman und beschäftigte sich ebenfalls intensiv mit Fragen der Tugend, der Rechtschaffenheit und des Gewissens. Sie erzog ihre Kinder auf eine Art, die zu jener Zeit ungewöhnlich war: kein Zwang, kein Insistieren, keine Bestrafungen, stattdessen große Dosen jüdischer und arabischer Gelehrsamkeit, eingesogen mit der Muttermilch.
    Als die Pest Salman seiner Eltern beraubte, war er erst fünfzehn Jahre alt. Der Tod war ihm nicht fremd. Im Laufe seines jungen Lebens hatte er schon seine vier kleinen Brüder begraben. Doch jetzt war alles anders, denn er war ganz allein, verlassen, ohne Verwandte, ohne einen Menschen, der sich um ihn kümmern konnte. Ein Abgrund tat sich auf. Er hasste den Tod, weil er ihm so machtlos gegenüberstand. Er wollte aufbegehren, all seine Kräfte einsetzen, doch er hatte keine andere Waffe als den Schrei. Er fühlte sich ohnmächtig und unzulänglich. Hinter sich hatte er den sicheren Tod, vor sich das unsichere Leben.
    Wann immer er daran dachte, dass all jene, die er liebte, nicht mehr da waren, brach er in Tränen aus – es war eine aufrichtige Trauer, die Trauer des wehrlosen Kindes –, doch dann nahm er sich wieder zusammen, noch nicht ahnend, dass dies ein Wink des Schicksals war, ein grausamer Gruß oder eine Vorankündigung dessen, dass er im Laufe seines mehrere hundert Jahre währenden Lebens immer all jene, die ihm am Herzen lagen, verlieren würde.
    Wieder muss ich Philip Khuri Hittis Klassiker
History of the Arabs
zu Hilfe nehmen, um Klarheit über die unglücklichen Umstände zu erlangen, die Salman zwangen, seine Geburtsstadt Granada zu verlassen. Der libanesische Autor gibt auf folgende Weise die Beschreibung der arabischen Chroniken vom Tode Sultan Yusufs in Granada wieder, der nur wenige Wochen nach Moishes und Hasnas Beerdigung eintrat.
    »Der Sultan wurde in der Moschee ermordet, während er tief in sein Abendgebet versunken war. Ein verwirrter Mann stürmte mit einem Dolch in der Hand auf den Herrscher zu und rammte ihn ihm in die Brust. Der Sultan gab ein lautes Brüllen von sich und sank zu Boden. Der Schrei weckte die Aufmerksamkeit der Wächter, und sie fanden ihn in seinem eigenen Blute badend. Der Sultan war noch bei Bewusstsein und versuchte, etwas zu sagen, doch geschwächt durch den Blutverlust, brachte er keinen Laut hervor. Die Wächter trugen ihn in den privaten Flügel des Schlosses. Vom Tode gezeichnet richtete er traurige Abschiedsblicke auf seine Nächsten, die sich um ihn versammelt hatten. Dann verschied er. Sein Nachfolger wurde sein ältester Sohn Muhammed V., der sechzehn Jahre alt war.«
    Sultan Yusuf I. war – Hittis Darstellung zufolge – von Allah mit Intelligenz, Klarsicht und Urteilskraft gesegnet. Er war geistreich, gerecht, wurde respektiert und hatte beste Verbindungen zu allen Königen auf der Iberischen Halbinsel. Kunst und Poesie standen am Hofe hoch im Kurs, und man nannte ihn einen Beschützer des freien Denkens.
    Hingegen erwähnt Hitti – bezeichnenderweise – nicht, dass Yusuf I. Moishe de Espinosa als den hervorragendsten unter den zeitgenössischen Mystikern betrachtete und ihm die Möglichkeit gab, als freier Denker zu wirken. Der Sultan hoffte, der jüdische Philosoph würde eine Arbeit über das Verständnis der göttlichen Natur und ihrer Ordnung präsentieren.
    Hitti schreibt ebenfalls nichts von den sonderbaren Dingen, die in den Tagen nach Yusufs Tod in Granada geschahen.
    Mein Großonkel erzählte, dass eines Nachts eine Sturmböe den Teil der Alhambra zerstörte, in dem der neue Sultan wohnte, die schönen Obstbäume im Garten entwurzelte und sie in Stücke zerbrach. Nur ein einziger Baum blieb verschont, ein prachtvoller Apfelbaum, in dessen Schatten der alte Sultan häufig die heißesten Stunden des Tages lesend zugebracht hatte. Der Baum wurde mit seinen Wurzeln aus der Erde gerissen, vom Wind über die Schlossmauern getragen und fiel auf den großen Marktplatz der Stadt. In der Morgendämmerung eilten die Menschen herbei, um die Früchte zu pflücken, die im Laufe der Nacht vergoldet worden waren, und sie zu verstecken. In der folgenden Nacht verschwanden alle Statuen der Alhambra spurlos, gemeinsam mit dem Dach der Moschee. In der dritten Nacht hörte man Schreien und Wehklagen aus dem Palast des Sultans, der von schrecklichen Gespenstern heimgesucht wurde. Der Ratgeber des Sultans versuchte, den erschütterten Muhammed V. damit zu

Weitere Kostenlose Bücher