Das Elixier der Unsterblichkeit
wo er häufig gesessen und den Sonnenuntergang in der Ferne verfolgt hatte. Erst jetzt wurde ihm klar, was er verlieren würde. Seine Augen füllten sich mit Tränen, und bevor er die lange Wanderung fortsetzte, seufzte er tief und warf einen letzten Blick auf Granada.
DER RELIGIONSSTREIT
Als die Dämmerung sich herabzusenken begann, zog Jacobo Tibbon den Kerzenleuchter näher heran, um die Schrift besser sehen zu können. Salman saß stumm am anderen Ende des Tisches, während der Rabbiner den Text studierte. Der gelehrte Mann blätterte sorgsam um, streichelte die Blätter zunächst mit der einen, dann mit der anderen Hand, sodann ließ er den rechten Zeigefinger langsam über die Buchstaben gleiten. Schließlich beugte er sich nach vorn und küsste Moishes Werk,
Sefer ha-Zohar
.
»Verwunderlich«, murmelte der Rabbiner hingerissen, »dein Vater, Ehre sei seinem Angedenken, beantwortet hier mehrere Fragen, um die meine Gedanken in den letzten Jahren unaufhörlich gekreist sind. Dieses Buch ist ein Meisterwerk. Ich werde große Freude an dem haben, was hier steht, wenn ich nächste Woche an einem Disput auf dem großen Marktplatz teilnehmen muss, auch wenn es unklug von mir wäre, diesen Wortkampf zu gewinnen. Der christliche Pöbel wartet nur auf einen Vorwand, um sich auf uns zu stürzen, unsere Häuser zu plündern und uns zu töten.«
Salman begriff nichts von alledem und bat um eine Erklärung. Der Rabbi berichtete, dass die katholische Kirche auf verschiedenen Ebenen und unter Zwang theologische Dispute angeordnet hatte, die nicht selten in possenhafte Schauspiele ausarteten. Ziel dieser Wortduelle sei es, den Christen die Unterlegenheit der jüdischen Religion zu demonstrieren. Die Kirche werde fast immer von getauften Juden vertreten, die hofften, indem sie die Rabbiner besiegten, selbst eine bessere Stellung zu erlangen. Obwohl die Rabbiner, kraft ihres tieferen Wissens und ihrer überlegenen Argumentationskunst, die unbestätigten Behauptungen ihrer Gegner vom Tisch fegen könnten, seien sie am Ende gezwungen, ihre Niederlage einzugestehen, denn sie liefen ständig Gefahr, Repressalien ausgesetzt zu werden. In Toledo, wo das Resultat eines solchen Disputs nicht den Erwartungen entsprochen habe, hätten die Kirchenmänner jüdische Gelehrte gefoltert, sie gezwungen, dem Judentum abzuschwören und den jüdischen Glauben lächerlich zu machen. Ähnliche Übergriffe habe es auch andernorts gegeben, erklärte der Rabbiner dem jungen Mann.
Salman konnte nicht begreifen, warum die katholische Kirche so handelte.
Tibbon machte ihm klar, dass die Kirche überaus machtlüstern sei und das Leben auf der Iberischen Halbinsel beherrschen wolle, auch auf nichtreligiösen Gebieten. Dies widerstrebe nicht selten den Interessen der weltlichen Herrscher, und da mehrere christliche Könige jüdische Ratgeber hätten, richte sich die Wut der Priester gegen diese einflussreichen Männer. Die Kirche fordere, dass die Juden ausgesondert und vertrieben werden sollten, genau wie die Mauren, wenn sie sich nicht bekehren ließen. Auf Druck der Kirche würden schrittweise in ganz Spanien antijüdische Verordnungen eingeführt.
Die Bewohner Córdobas strömten an diesem heißen Vormittag auf die Plaza Reyes Católicos, um dem Religionsdisput zwischen Juden und Christen beizuwohnen. Der große Platz war voller alter und junger Menschen, Mönche, Nonnen, Bauern, Handwerker, Diebe, Prostituierte, Lahme und Krüppel – eine wogende Menschenmenge, die gebannt die Debatte verfolgte.
Auf einer für den Anlass hastig aufgebauten Tribüne saßen der alternde Gouverneur Hidalgo del Solís zusammen mit dem Repräsentanten des Heiligen Amts Miguel Cruz de Medina, Domherr in der Kathedrale von Córdoba und Leiter dieser theologischen Debatte, einige hohe Herren aus dem Stadtrat, einige sachkundige Priester, ein Notar, ein Beisitzer sowie zwei ausdrücklich geladene Äbte des Zisterzienserordens in Sevilla und Carmona. Auf den Balkonen, die zum Platz hin lagen, saß die Prominenz der Stadt mit ihren Familien. Sie tranken in kleinen Schlucken Wasser aus farbigen Keramikbechern.
Die Kirchenglocken läuteten, um den Beginn des Disputs anzukündigen. Cruz de Medina erhob sich, breitete die Arme aus und begann seine Predigt, die allzu lang und langweilig war. Als er fertig war, bat er die Teilnehmenden, vorzutreten, den gewöhnlichen Eid abzulegen und zu versprechen, sich fleißig an der Debatte zu beteiligen. Jacobo Tibbon nickte zustimmend,
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