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Das Ende aller Tage

Das Ende aller Tage

Titel: Das Ende aller Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian W. Aldiss
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Nunions. Auch die Zuschauer spürten etwas davon; sie saßen gespannter, aufmerksamer, und ihre halblauten Gespräche verstummten.
    Hinter einer zivilisierten Fassade zeigte das nächtliche Nunion eine primitive Wildheit. In Ars Staykrs Interpretation war es eine trübe, traurige Welt, das Amalgam aus Heimweh und Gier, aus Einsamkeit und Sehnsucht. Das Individuum verlor sich in einer gleißenden Wildnis, wo neunzig Millionen Menschen zusammengedrängt und doch einsam lebten.
    Es wurde sofort klar, daß die drängenden Menschenmassen vor den Revuetheatern und Tingeltangelkabaretts harmlos waren. Diese Menschen lebten in Herden, sie hatten die Herdenmentalität entwickelt. Sie waren so harmlos, daß man nichts Hintergründiges für die Dokumentation aus ihnen herausholen konnte; sie schienen nichts als Zerstreuung zu suchen.
    Die Szene wechselte und brachte die Arrivierten ins Bild – diejenigen, die es sich leisten konnten, Ruhe und Bequemlichkeit und eine Frau zu kaufen. Sie aßen in unterseeischen Restaurants, nickten in brüderlichem Einvernehmen den Haien zu, die hinter Glaswänden schwammen. Sie amüsierten sich in hundert teuren Nachtbars, saßen bei Glücksspielen. Und überall und immer war jemand da, der auf ein gebieterisches Augensignal herbeigeeilt kam; ein Mann, der vor Eile und Überarbeitung schwitzte. Kurzum, eine wahrhafte Metropole; Macht bedarf unaufhörlicher Selbstbestätigung.
    Die Kamera blendete zum Bosphorus Concourse über. Diese breite Straße lag im Herzen Nunions. Hier erreichte die Suche nach dem Vergnügen ihren Gipfelpunkt. Ausrufer überbrüllten einander, der Alkohol floß in niemals versiegenden Strömen, Hausboote mit roten Ampeln lockten mit perversen Genüssen, die Frauen der Nacht bewegten sich wie Raubtiere durch die dahintreibende Menge – alle Sensationen und Perversionen eines Universums waren für Geld zu haben.
    Rhapsodie 182 konnte nicht widerstehen; er mußte ein Wort hinzufügen.
    »Haben Sie jemals solchen Realismus gesehen?« verlangte er zu wissen. »Gewöhnliche Leute, Leute wie Sie und ich, hier sind sie eingefangen, wie sie hingehen und sich amüsieren, vergessen wollen. Stellen Sie sich vor, welche Werbewirkung von diesen Szenen ausgeht! Werbewirkung für Nunion! Und wo waren sie die letzten zwanzig Jahre? In unserem Archiv, verstaubt, vernachlässigt, vergessen. Niemand hätte sie je zusehen bekommen, wenn ich sie nicht hervorgeholt hatte!«
    Big Cello sprach.
    »Ich habe sie gesehen, Rhapsodie«, sagte er kehlig. »Sie sind einfach zu schmutzig und abgeschmackt, um beim normalen Bürger anzukommen.«
    Rhapsodie erstarrte, wagte keine Bewegung. Sein Gesicht lief dunkelrot an. Diese wenigen Worte hatten ihm und allen anderen Anwesenden klargemacht, wo er stand. Blieb er hartnäckig, würde er den Unwillen des Chefs auf sich ziehen. Gab er nach, würde er sein Gesicht verlieren.
    Hinter ihm liefen die aneinandergereihten Szenen weiter über die Projektionswand. Männer und Frauen rissen sich um den Zutritt zu der Horror-Schau: »Der Tod in Todeszelle Sechs«. Über ihnen und dem grell beleuchteten Eingang war die gigantische Gestalt eines Mannes in Weichplastik zu sehen. Die Nachbildung bewegte sich wie ein Mann, der stranguliert wird.
    »Wir brauchen dieses makabre Zeug natürlich nicht zu bringen«, sagte Rhapsodie und grinste wie unter Schmerzen. »Ich lasse es nur durchlaufen, um einen Gesamteindruck zu geben. Wir werden die Details natürlich später noch eingehend besprechen.«
    Big Cello nickte. »Sie sind zu sehr von Bastion 44 eingenommen, Rhap«, sagte er freundlich. »Letzten Endes war er nur ein Herumtreiber mit einer Kamera.«
    Ars Staykrs Stadt leerte sich jetzt. Zerknüllte Zigarettenpackungen, Eintrittskarten, Programme und Handzettel lagen in den Rinnsteinen. Die Nachtschwärmer zogen nach Hause. Leichter Nebel hing über dem Bosphorus Concourse und unterstrich den Eindruck zunehmender Verlassenheit. Ein fetter Mann mit aufgeknöpften Kleidern taumelte aus einer Kaschemme und zum nächsten Beförderungsband. Es riß ihn herum, spie ihn zur Seite und ließ ihn wie ein welkes Blatt im Herbstwind davontorkeln.
    In einem verlassenen Restaurant gingen die Lichter aus. Vom Turm der Stadthalle schlug es halb drei. Eine Dirne ging nach Hause, die Handtasche fest unter den Arm gepreßt.
    Doch der Bosphorus Concourse war nicht leer. Das gnadenlose Auge der Kamera erjagte in düsteren Eingängen und Torwegen die letzten Beobachter der Szene – Menschen,

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