Das Ende aller Tage
eine scharfe Silhouette auf das Bild warf.
»So war es mit Staykr«, sagte er. »immer war er auf das aus, was er ›das genaue, enthüllende Detail‹ nannte. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, daß er nicht weiterkam; diesen Details zuliebe trieb er uns alle zur Verzweiflung.«
»Das sind bloß Aufnahmen von einer großen Stadt«, rief ein Mann von der Textabteilung ungeduldig. »Solche Sachen haben wir schon oft gesehen, Harsch. Worauf zielt das alles ab?«
»Gebrauchen Sie Ihre Augen. Sehen Sie, wie sich das Muster bildet«, erwiderte Harsch. »Das zeigt Staykrs Arbeitsweise; er ließ den Dingen ihre Entwicklung, verzichtete auf Eingriffe und gestellte Posen, wo immer es ging. Nie preßte er etwas in ein vorgegebenes Schema. Sehen Sie nun die nächste Szene, und Sie wissen mehr über seine Methode, als ich es jetzt sagen könnte …«
Ein junges Paar kam in einem schnellen Boot einen Kanal herauf. Sie legten an, kletterten an Land und gingen Arm in Arm über ein mosaikbelegtes Trottoir zu einem Café. Sie fanden einen Tisch, setzten sich und plauderten angeregt. Die Begleitmusik wechselte das Tempo, die Aufmerksamkeit wendete sich von den Liebenden ab und den Kellnern zu. Die glatte Höflichkeit ihres Bedienens wurde ihrer Gleichgültigkeit hinter der Szene gegenübergestellt, wenn sie im Schmutz und in der konfusen Betriebsamkeit der Küche untertauchten. Dann folgte die Kamera einem der Kellner nach Arbeitsschluß in den Distrikt Pelt, wo er eine ärmliche Kellerwohnung betrat und sich angekleidet auf sein ungemachtes Bett warf.
»Verstehen Sie nun?« fragte Rhapsodie seine Zuhörer. »Ars Staykr gräbt. Er legt Schicht um Schicht dieser Stadt frei. Bald werden Sie sehen, was er am Grund gefunden hat.«
Die ganze Zeit hatte er verstohlen Big Cello beobachtet, dessen undurchdringliches Gesicht immer wieder von Wolken aus Zigarettenrauch verhüllt wurde. Nun schlug der Chef die Beine übereinander; das konnte ein schlechtes Zeichen sein, vielleicht eine Regung von Ungeduld. Rhapsodie, der gelernt hatte, auf solche Dinge zu achten, hielt die Zeit für gekommen, direkt vorzufühlen. Er trat an den Bühnenrand, beugte sich vor und fragte einschmeichelnd: »Sehen Sie, wie die Sache Gestalt annimmt, B. C?«
»Ich sitze immer noch hier«, antwortete Big Cello. Man konnte es als eine relativ enthusiastische Antwort werten.
»Diejenigen unter Ihnen, die nie Gelegenheit hatten, mit Ars zusammenzukommen«, fuhr Rhapsodie fort, »werden fragen: ›Was war das für ein Mann, der eine Stadt mit soviel Genius zu entschleiern verstand?‹ Um Sie nicht länger hinzuhalten, will ich es Ihnen sagen. Als Ars diesen letzten Auftrag drehte, war ich noch ein Anfänger in unserem Geschäft. Ich habe viel von ihm gelernt, sowohl was einfache, alltägliche Menschlichkeit angeht, als auch in Sachen der Technik. Wir werden Ihnen jetzt einen kleinen Streifen zeigen, den ein Kameramann der Abteilung zwei von Staykr ohne dessen Wissen aufgenommen hat. Ich glaube, Sie werden es – wie soll ich es ausdrücken? – irgendwie bewegend finden.«
Das Bild war plötzlich da. In einer Ecke von Nunions Raumflughafen saßen Ars Staykr und mehrere Männer seiner Dokumentarabteilung an aufgestapelte Sauerstoffgeräte gelehnt und nahmen einen Imbiß zu sich. Ars war achtundsechzig und eben aus seinen mittleren Jahren heraus. Sein spärliches graues Haar wehte ihm in die Stirn, und er verzehrte ein riesiges belegtes Brot. Dabei sprach er mit einem jungen Mann in einem Raumanzug. Rhapsodie blickte über die Schulter, identifizierte mit einiger Verlegenheit sein jüngeres Selbst und sagte: »Sie müssen berücksichtigen, daß alles dies vor zwanzig Jahren aufgenommen wurde.«
»Damals waren Sie nicht so mager«, rief einer aus dem Publikum.
Ars Staykrs Stimme erklang aus der Lautsprecheranlage. »Cello 60 hat uns die Chance gegeben, dieses Projekt zu verwirklichen«, sagte er. »Sehen wir also zu, daß wir die Chance nützen. In einer Stadt dieser Größe kann jeder interessante Gesichter finden oder architektonische Perspektiven mit Hilfe von Hintergrundgeräuschen zu einem Muster zusammenstückeln. Wir wollen tiefer gehen. Was ich finden und zeigen möchte, ist, was wirklich im Herzen dieser größten Metropole der Menschheit liegt.«
»Angenommen, es gibt kein Herz, Staykr?« fragte der jugendliche Rhapsodie. »Ich meine, man hört oft von herzlosen Männern und Frauen; könnte dies hier nicht eine herzlose Stadt sein?«
»Das ist
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