Das Ende Der Ausreden
»Ich bin eben so!« Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung? Von wegen!
Das stärkste Argument gegen Veränderung lautet: »Ich bin eben so. Ich kann nicht aus meiner Haut. Sorry, aber ich kann nicht anders!«
Was heißt das eigentlich?
Ich behaupte, dass das, was ich bin und tue, von irgendetwas außerhalb meiner selbst, jenseits meiner Einflussmöglichkeiten festgeschrieben und festgelegt wurde und nicht etwa von mir gesteuert und entschieden wird. Nicht ich habe mir erlaubt, so ungeduldig zu sein, sondern: Das ist meine Natur. Die Verantwortung hat das Ungeduldsgen.
Ich bin eben so! Das kann stolz klingen, entschieden, resigniert oder patzig.
»Ich bin eben so!« ist oft eine Antwort darauf, dass jemand etwas von mir will, was ich nicht will. »Kannst du nicht etwas vorsichtiger fahren?« – »Nein! Erstens fahre ich vorsichtig und zweitens bin ich eben ein sportlicher Typ.« Will heißen, der Fuß muss auf das Gas, er kann einfach nicht anders. Ein beunruhigender Gedanke. Wer fährt denn da?
»Ich kann einfach nicht treu sein!« Heißt vielleicht: Es tut mir zwar leid, dass dich meine Affären verletzen, aber die Hormone gehen mit mir durch oder wahlweise die weibliche/ männliche Natur oder der Lebenshunger. »Ich bin eben so« heißt paradoxerweise: Ich kann nichts dafür. Wer dann? An wen oder was habe ich denn da meine Verantwortung abgegeben? Und kann der/die/das sie überhaupt tragen?
»Das liegt bei uns in der Familie« – auch so ein Freibrief. Das ist eine Absage an die eigenen Spielräume der Entscheidung, des Handelns, des bewussten Abwägens. »Mein Großvater war schon cholerisch, mein älterer Bruder auch – da musst du dich nicht wundern, wenn mir im Streit die falschen Worte rausrutschen.« Das müsste dann eigentlich im Ausweis stehen. Besondere Kennzeichen: »Jähzornig in vierzehnter Generation.«
»Wann entscheidest du dich endlich? Du kannst doch nicht ewig hin und her überlegen!!« Antwort: »Das könntest du doch wissen, ich bin Krebs, wir müssen immer vor und zurück denken, Schnellschüsse können wir nicht!« Im Kollektiv lässt es sich gut ent-schulden. Wir Widder sind impulsiv, wir Fische empfindsam und wir Löwen dominant. Tja, das steht in den Sternen, wer will sich da auflehnen? Wenn man diese Begründungen zu Ende denkt, dann kommt heraus, dass wir gelebt werden – von unserem Temperament, unseren Sternzeichen, unseren Familienmerkmalen.
Ich bin weit entfernt davon, derlei Einflüsse völlig zu leugnen. Die Frage ist nur: Für wie lange dürfen sie nicht nur als wirksam, sondern – wie behauptet – als zwingend gelten?
Die gleichen Menschen, die sich auf Charakter, Familie oder Erziehung berufen, um eine Handlungsweise oder Angewohnheit zu legitimieren, halten es oft zugleich für unsinnig, heute über die Folgen ihrer Kindheit nachzudenken und zu beleuchten, was genau sie im Inneren geprägt hat und heute noch leitet. Sich mit den frühen Jahren des Lebens auseinanderzusetzen, ist in der Tat nur sinnvoll, wenn wir das Ziel haben, daraus zu lernen und uns weiterzuentwickeln. Sie aber nehmen die Idee einer Fremdsteuerung in Anspruch, die ihnen plausibel oder praktisch erscheint, genau deshalb weil sie keinen Änderungsimpuls beinhaltet. »Ich bin eben so« heißt: »Deshalb ändere ich mich nicht, lass mich in Ruhe!«
Nach dieser Behauptung erübrigt sich ein weiteres Gespräch oder Nachdenken. Wo »empfindlich« draufsteht, ist »empfindlich« drin. Das bedarf keiner weiteren Erläuterung und muss auch nicht diskutiert werden. Es gibt keine Rätsel auf und stellt keine Fragen. Und entlässt mich scheinbar aus der Pflicht. Wer empfindlich ist, ist eben schnell verletzt. Was kann ich dafür?
Diese Haltung ist das genaue Gegenteil der optimistischen Annahme, dass Selbsterkenntnis der erste Schritt zur Besserung sei. Ich nehme eine vielleicht sogar zutreffende Charakterisierung meiner selbst, und gut ist. Von wegen erster Schritt. Ich mache daraus dann einen Standpunkt: Ich stehe hier und kann(!) nicht anders.
»Erkenne dich selbst!« ist immer anders gedacht. Es geht um erkennen und umkehren, einen eingefahrenen Weg verlassen, aus einem Traum aufwachen, einen Kampf beenden oder beginnen. Nicht einfach »Wir Norddeutschen sind eben so«.
Während ich meine Sensibilität wie einen Schutzschild vor mich halten kann (»Du musst vorsichtig mit mir umgehen!«), will die Entdeckungsreise in meine inneren Räume genau das Gegenteil. Sie will den freundlichen
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