Das Ende Der Ausreden
eine mittlere Ausprägung in der Durchsetzungsorientierung eines anderen als problematisch. Ich nehme sie als völlig überzogen wahr. Meine Wahrnehmung macht aus dem anderen, der einen Konflikt zwar nicht scheut, aber auch nicht gerade sucht, zum Rambo. Ich unterstelle ihm viel mehr Aggressivität, als er hat. Das kommt daher, dass er mir eine Stärke spiegelt, die mir fehlt. Der Konfrontation mit meinem Mangel entgehe ich unbewusst perfekt dadurch, dass ich diese Stärke abwerte und negativ übertreibe. Das, was mir fehlt, erscheint in dieser Betrachtung definitiv nicht mehr als wünschenswert und damit nicht als Mangel, der mich schmerzen müsste. Ich lehne den anderen ab, um nicht in die Gefahr zu geraten, mich selbst abzulehnen. Das Ganze passiert blitzschnell, unterschwellig, ohne Einschaltung des Verstandes. Da ich mich ja in meiner Missbilligung auf den anderen konzentriere, kommt mir nicht in den Sinn, dass es hier um mich geht. Und es garantiert mir, mich nicht damit plagen zu müssen, etwas mehr Klarheit, Entschlossenheit und Abgrenzung aufzubauen – was mir eigentlich gut stünde.
Umgekehrt kann ich als durchsetzungsorientierter Mensch die tatsächliche Einfühlungsfähigkeit eines anderen nur schwer zutreffend einschätzen. Das geht rappzapp, und ich bin sicher, dass der wirklich null Mumm in den Knochen hat. Und sich in übertriebener Weise um andere kümmert und sie fürsorglich tyrannisiert. Ich unterstelle demjenigen, der vielleicht nicht gern Nein sagt (aber doch keine Neigung hat, sich ausnutzen zu lassen), viel mehr von Mutter Teresa, als er je haben wird. Weil mich das davor schützt, mir meines Mangels an Warmherzigkeit, Zartheit und mutiger Verwundbarkeit bewusst zu werden. Indem ich diese Aspekte ins Groteske verzerre, ist da nichts, dessen Fehlen ich bedauern müsste. Und so gibt es auch keinen störenden Impuls, vielleicht doch etwas weniger dominant zu sein und etwas mehr Empathie zu proben.
Rambo und Mutter Teresa können sich die Hand geben, sie bleiben sich nichts schuldig. Sie erschaffen sich gegenseitig, um dann zu sagen: So will ich auf gar keinen Fall werden!!
Es ist stets das gleiche Prinzip. Und es wurde erfunden, um uns vor Schmerz zu schützen. Das ist die gute Nachricht. Andererseits wird so Weiterentwicklung verhindert, der Status quo fest und fester geschraubt.
Warum Erfahrungen uns nicht nur klug, sondern auch dumm machen
Es gibt ein berühmtes Experiment mit einem Pferd, nennen wir es Charly. Dieses Pferd musste dafür herhalten, dass wir heute besser wissen, wie Lernen funktioniert. Zuerst ertönte im Versuchsaufbau ein Klingelton. Kurz darauf wurde ein Teil des Metallbodens, auf dem das Pferd stand, unter leichten Strom gesetzt. Das Tier konnte dem Schmerz entgehen, indem es seinen rechten Huf hob. Nach kurzer Zeit hatte das Pferd gelernt, direkt beim Klingeln zu reagieren. Klingel, Huf hoch, kein Schmerz.
Der Begriff der Konditionierung ist uns mittlerweile geläufig; ursprünglich löst der Schmerz die Ausweichbewegung aus, weshalb man ihn auch Auslöser nennt. Dann verbindet sich durch die mehrfache Kopplung der erste Auslöser mit einem zweiten Reiz, hier mit der Klingel. Dadurch erhält der zunächst neutrale Reiz die Qualität eine neuen Auslösers: Die Klingel allein veranlasst das Pferd jetzt zu dem Verhalten, mit dem es der Gefahr entkommt.
Das ist sinnvoll, denn es hilft dem Pferd, seine Lebensqualität als Versuchstier deutlich zu verbessern.
Das war der erste Teil des Experiments. In einem zweiten Abschnitt wollten die Wissenschaftler herausfinden, ob die Konditionierung auch rückgängig zu machen ist, ob und wie etwas wieder verlernt werden kann. Sie betätigten daher die Glocke, leiteten aber keinen Strom mehr in die Bodenplatte. Charly hätte seinen Fuß gefahrlos stehen lassen können, es wäre nichts passiert. Aber Charly kam nicht dazu, diese neue Erfahrung zu machen, weil er stur und stolz auf seine gelernte Lektion den Huf bei jedem Klingelton weiter anhob. Da ist jetzt kein Strom? Da kann ja jeder kommen und das behaupten, soll der das doch probieren.
Genauso denken wir. Oder: denkt es in uns irgendwo.
Wir reagieren auf Infragestellung unserer Selbstverständlichkeiten so allergisch, weil es uns dunkel an einen Schmerz erinnert. Und dann tun wir, was wir gelernt haben, um dem Schmerz zu entgehen. Selbst, wenn es gar nicht mehr erforderlich ist. Wenn es Zeit wäre, etwas zu verlernen, um endlich eine neue Erfahrung machen zu können.
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