Das Ende Der Ausreden
ich aber meinen Ruf pflege, dass ich keine Kritik vertragen kann, dann bin ich auf dem besten Weg, in eine bereitgestellte Falle zu laufen. Es gibt ganz sicher Gründe, die es mir schwer gemacht haben, entspannt mit Kritik umzugehen, aber die Vermeidungsstrategie könnte langfristig riskant werden, indem sie mich zwar vor Beanstandungen abschirmt, aber auch daran hindert, sich mit mir selbst anzufreunden.
Wenn ich irgendwann einmal mein Leben – vor wem oder welcher Instanz auch immer – verantworte, kann ich es mir sparen, über das zu reden, was ich nicht gemacht habe und warum. Das interessiert niemanden mehr. Falls es je jemanden interessiert hat. Am Ende des Lebens gelten keine Ausreden.
Für die Bilanz ist sicher eines besonders entscheidend: Habe ich die mein Leben bestimmende Angst und den Schmerz früher Verletzungen überwunden oder habe ich mich ihnen immer wieder neu gebeugt?
Dazu muss ich zunächst erkennen, dass ich Angst und Schmerz habe. Den nur noch vagen Schmerz und die schlummernde Angst, die mich subtil steuern, die mich drängen, mich anzupassen oder in der Rebellion gefangen halten. Solange ich mich in der Einbildung bewege, ich sei ganz furchtlos, unverwundbar und selbstbestimmt, kann ich nicht mit Schatten der Vergangenheit ringen.
In einer sehr berührenden Sequenz in »Good Will Hunting« stehen sich der Psychologe Sean Maguire, gespielt von Robin Williams, und ein mathematisches Genie, Will (Matt Damon), gegenüber. Will ist Vollwaise, hat in verschiedenen Pflegefamilien eine schwierige Kindheit durchlebt und ist mehrfach straffällig geworden. Er ist gerade im Begriff, seine Zukunft zu verspielen. Ein Mathematik-Professor, der seine außergewöhnliche Begabung entdeckt hat, rettet ihn vor dem Gefängnis mit der Auflage, an einem Resozialisierungsprogramm teilzunehmen, die Therapie ist Teil davon. Will hat schon einige Therapeuten intellektuell ausgebootet und ist fest entschlossen, es auch mit Maguire zu tun. Der Therapeut zeigt ihm Fotos: Auf den Oberarmen des kleinen Jungen, der Will einmal war, hat man Zigaretten ausgedrückt, Bilder von Misshandlung und Verwahrlosung. Er schaut ihn an und kommentiert diese Bilder ruhig und eindringlich: »Du kannst nichts dafür!« – »Ja, ich weiß«, sagt der Junge zur Seite hin. »Nein, nein, weißt du nicht«, versetzt der Therapeut geduldig und sehr ernst, »du kannst nichts dafür.« – »Hören Sie auf mit dem Schwachsinn!«, sagt der Junge. Der Therapeut hält seinen Blick fest. »Du kannst nichts dafür.« Will stößt ihn zurück. »Lassen Sie mich in Ruhe, Mann!« Noch einmal wiederholt Maguire: »Du kannst nichts dafür.« Und da bricht der Junge zusammen und schluchzt den ganzen Kummer eines gequälten Kindes heraus, das sich diesen Schrecken nicht anders zu erklären wusste, als dass es etwas falsch gemacht haben muss. Und erst, als er das begreift, kann er die immense Härte loslassen, die er sich zugelegt hat, um sich vor der vermeintlichen Schuld und der unerträglichen Scham zu schützen.
Seine quälenden Erinnerungen und vor allem die Schlussfolgerungen, die er daraus zog, hat er verdrängt. Sein Panzer soll ihn vor einer – inneren und äußeren – Wiederbegegnung mit alten Verletzungen schützen. Und das funktioniert auch. Einerseits. Ehe ihn jemand verletzen darf, hat er schon lange zugeschlagen. Die tiefe Wunde des misshandelten Kindes kann allerdings niemals heilen, denn der Panzer hält auch die Liebe ab, die Begegnung, den heilenden Blick, die tröstende Geste. Niemand bekommt die Chance, ihm zu zeigen, dass er geliebt wird, dass Liebe eine reale Möglichkeit ist, ein Geschenk, das das Leben auch für ihn bereithält. Das weiß er zu verhindern, sein Schutz sperrt ihn fatalerweise vom Leben aus.
Und einen Therapeuten braucht er – natürlich! – schon lange nicht. Diese Seelenklempner sollen sich an Schwächlingen versuchen, nicht an ihm!
Wann immer jemand vehement über psychologische Unterstützung polemisiert, muss man meiner Erfahrung nach von beträchtlichen seelischen Wunden ausgehen, für die derjenige sich (noch) keine Unterstützung leisten darf, weil er sie (noch) leugnen muss.
Wir sind frei in unseren Entscheidungen. Einerseits.
Verena Kast formuliert das in ihrem Buch über »Wege zur Autonomie« so: »Auch hierin besteht eine Gesetzmäßigkeit psychischer Prozesse: Erst wenn wir daran sind, uns aus einer Situation herauszuentwickeln, dürfen wir uns zugeben, wie die Situation wirklich war,
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