Das Ende der Einsamkeit
Alessandro in den Sinn, der über ihre gelegentlichen Kochversuche immer gelacht hatte. Seltsam, dass sie auch nach sieben Jahren noch an ihn dachte. Nicht zu Tode betrübt und völlig gebrochen, wie es am Anfang gewesen war, sondern eher beiläufig. Eine kleine Erinnerung, die aus heiterem Himmel wie ein Nadelstich auftauchte und ihr den Atem raubte, bevor sie genauso unvermittelt wieder verschwand und das Leben normal weiterging.
„Die Pflicht ruft!“
Jessica Ambles lächelte sie aufmunternd an. „Alle Eltern warten da draußen darauf, dass wir ihnen versichern, was für Engel ihre Kleinen im letzten Schuljahr gewesen sind.“
„Was für die meisten ja auch zutrifft. Allerdings fallen mir da einige wenige ein …“
„Unter denen Dominic Park den ersten Rang einnehmen würde?“
Megan lachte. „Zumindest hat er heute Abend auf Kommando mit den Armen gewedelt, ohne einen seiner Mitspieler umzuhauen. Obwohl mir nicht entgangen ist, dass Lucy als Esel einen gewissen Sicherheitsabstand zu ihm eingehalten hat. Es ist wirklich erstaunlich, was sich manchmal mit einer kleinen Erpressung erreichen lässt. Ich habe ihm nur versprochen, dass er mir bei meinem nächsten Fußballspiel zusehen darf, wenn er sich benimmt.“ Zufrieden hakte sie sich bei ihrer Kollegin ein, und gemeinsam kehrten sie dem heillosen Chaos hinter der Bühne erst einmal den Rücken. Aufräumen würden sie in aller Ruhe am kommenden Nachmittag, wenn die Schüler schon in den Weihnachtsferien waren.
Die Große Halle war ein imposanter Saal, der für sämtliche Theateraufführungen und Schulversammlungen genutzt wurde. Ein prächtig geschmückter Weihnachtsbaum – ebenso wie ein Großteil des Schmucks eine Spende der Eltern – stand glitzernd und funkelnd in einer Ecke. Das reichhaltige Büffet war ebenso wie die Getränke seitlich auf langen, weiß gedeckten Tischen aufgebaut.
Es wimmelte von aufgeregten Eltern mit ihren ebenso aufgeregten Kindern, Omas, Opas, Tanten und Onkels. Die Lehrer mischten sich darunter in der angenehmen Gewissheit, dass ihnen jetzt drei Wochen Ferien von ihren kleinen Lieblingen bevorstanden.
Megan würde die Ferien nicht in Schottland verbringen, denn ihre Eltern hatten kurz entschlossen einen Urlaub im sonnigen Süden gebucht, und ihre Schwestern wollten über die Feiertage zu den jeweiligen Schwiegereltern fahren. Ihr – nicht ernst gemeintes – Jammern, dass sie sich ganz verlassen vorkäme, hatte in der Familie einigen Anlass zu vergnüglichem Spott gegeben, aber tatsächlich war es ihr ganz recht, in London zu bleiben. Da war immer etwas los, und ihre Freundin Charlotte verbrachte die Feiertage ebenfalls in der Stadt.
Die beiden hatten bereits einen Weihnachtsbaum aufgestellt in dem kleinen Häuschen in Shepherd’s Bush, das sie gemeinsam bewohnten, und hegten große Pläne für ein Weihnachtsessen, zu dem sie alle Einsamen und Verlassenen aus ihrem Bekanntenkreis herzlich eingeladen hatten – vorausgesetzt, sie brachten etwas zu essen oder zu trinken mit.
Bislang hatten sich sage und schreibe schon fünfzehn Leute als „einsam und verlassen“ bei ihnen angemeldet, eine unerwartet große Resonanz, denn das Wohnzimmer war ziemlich klein. Aber Megans Motto lautete: Je enger, desto lustiger.
Jetzt hörte sie Dominic, bevor sie ihn tatsächlich entdeckt hatte, was bei ihm nicht ungewöhnlich war. Mit lauter Stimme prahlte er vor seinen Klassenkameraden, was der Weihnachtsmann ihm bringen würde. Dabei schien er nicht einen Moment zu zweifeln, dass dieser die bestellten Schlittenladungen von Geschenken auch liefern würde. Megan fragte sich, ob Dominic dem armen Kerl widrigenfalls vielleicht auch mit Gefängnis drohen würde.
Lächelnd näherte sie sich, gespannt auf die Mutter des kleinen Jungen. Es war ein beliebtes Spiel unter den Lehrern, zu überlegen, welche Eltern wohl am besten zu welchen Kindern passten, und in diesem Fall stimmte das, was Megan sich ausgemalt hatte, perfekt mit der Realität überein.
Dominic Parks Mutter sah wie eine Anwältin aus. Groß, obwohl sie zwar elegante, aber flache Lacklederpumps trug, mit aristokratischer Haltung, das dunkle Haar zu einem gepflegten Knoten frisiert, und blauen Augen, die intelligent und kühl blickten. Trotz der Zwanglosigkeit des Anlasses war sie mit einem maßgeschneiderten taubengrauen Kostüm bekleidet, dessen strenge Linie lediglich durch ein lose um die Schulter drapiertes Kaschmirtuch ein wenig gemildert wurde.
Ehe Megan die Initiative
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