Das Ende der Geduld
gebräuchlichen Begriffe „Zecke" und „Assi" bildeten sich für andere junge Leute heraus, die mit bunten Haaren, zahllosen Piercings und meistens ebenso vielen Hunden vor dem U-Bahnhof herumsaßen, sich durchschnorrten und auch nicht wussten, wie sie den nächsten Tag verleben sollten. Es ging den orientierungslosen jugendlichen Deutschen darum, jemanden zu finden, der unter ihnen stand. Die „Rechten" hatten zwar auch keinen Job und verfügten zudem kaum über die intellektuellen Voraussetzungen, um jemals einen zu finden. Aber man war sozusagen uniformiert und organisiert, vor allem hatte man einen Lebensinhalt - der darin bestand, irgendeine Ordnung herzustellen, um die Inhaltsleere der eigenen Existenz nicht ertragen zu müssen. Jugendstrafen ohne Bewährung haben die Jugendrichter damals häufig vollstreckt.
Aus vielen Kevins ist bis heute niemand geworden, der einen „rechtschaffenen" Lebenswandel führt, wie es im Jugendgerichtsgesetz als Ziel des Jugendstrafvollzuges festgelegt ist. Einige Lebensläufe habe ich weiterverfolgt. Das war mir möglich, ohne die Verfahren von damals nochmals herauszusuchen, denn die Fälle waren quantitativ noch so überschaubar, dass ich die Namen der Täter bis heute auswendig wiedergeben kann. Kevin ist nicht mehr in der „rechten Szene". Aber er trinkt und prügelt sich immer noch und wird abwechselnd zu Geld- und Freiheitsstrafen mit und ohne Bewährung verurteilt.
Friedrichshain - früher arm, heute alternativ
Ein weiterer Bezirk, für den ich lange Zeit zuständig war, ist Friedrichshain, ebenfalls ein Bezirk in der ehemaligen Hauptstadt der DDR. In den neunziger Jahren war der Stadtteil noch stark sanierungsbedürftig. Sozial eher schwache Menschen lebten dort. Gemessen daran gab es zum damaligen Zeitpunkt verhältnismäßig wenige schwerwiegende Straftaten.
Eine Bande notorischer Autoknacker ist mir allerdings in lebhafter Erinnerung. Sie hielt die Polizei, die Staatsanwaltschaft, die Jugendgerichtshilfe und die Justiz mehr als ein Jahr lang in Atem. Es waren „Intensivtäter", lange bevor es den Begriff gab. Immer wieder zogen die Jugendlichen nachts los, brachen kleine PKW der Marke Opel auf, weil das damals wohl besonders einfach war, rissen die Verkleidung herunter, schlössen die Fahrzeuge kurz und fuhren den Tank leer. Ein trauriges Ende fand die Serie für einen der Haupttäter erst, als er nach einer Verfolgungsfahrt mit der Polizei in mehrere geparkte Fahrzeuge knallte und einen Radfahrer totfuhr. Eine schlimme Hauptverhandlung war das, denn der Angeklagte entschuldigte sich bei allen Geschädigten, deren Auto er zu Schrott gefahren hatte. Für die Eltern des getöteten Radfahrers, der in Berlin studiert hatte, fand er hingegen kein Wort. Ein trauriger Einzelfall, der mir nie aus dem Sinn gegangen ist. Aber eben eher ein Einzelfall.
Ansonsten hatte man es in den neunziger Jahren in Friedrichshain vornehmlich mit Schülern und Studenten zu tun, die kifften und schwarz mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fuhren, oder mit Punks, die klauten, zu viel tranken und es nicht so mit der Obrigkeit hatten, weshalb etliche Verfahren wegen „Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte" zu bearbeiten waren.
In den letzten Jahren hat Friedrichshain jedoch eine Schattenseite entwickelt. Diese zeigte sich zunächst vorrangig bei den jährlieh wiederkehrenden 1.-Mai-Krawallen. Linksautonome meinten, dem Weltfrieden am besten durch brennende Müllcontainer dienen zu können. Das war für die Polizei mehrere Jahre lang einigermaßen zu regeln, weil sich die Gewalt auf den 30. April und den 1. Mai beschränkte. Anders stellte sich die Lage im Jahr 2009 dar. Allein bei den 1.-Mai-Krawallen wurden 440 Polizeibeamte verletzt - insgesamt bringt es die Stadt im Jahr 2009 auf knapp 3000 verletzte Polizeibeamte -, einige bewarf man mit Brandsätzen. Am 1. Mai 2009 erfolgten 289 vorläufige Festnahmen. Die Tagespresse zitierte Beamte mit den Worten: „Wir wurden zur Steinigung freigegeben". Der Schwerpunkt der Ausschreitungen lag nicht allein in Friedrichshain, sondern bezog sich auch auf umliegende Stadtteile. Die frühere offizielle Einschätzung, dass vorwiegend sogenannte „erlebnisorientierte Jugendliche" ein wenig Abenteuerlust ausleben wollten, ist aus meiner Sicht nicht mehr haltbar. In diesem Zusammenhang sind auch die im Laufe des Jahres 2009 in Brand gesetzten Autos in Friedrichshain und anderen Stadtbezirken zu erwähnen. Der Anschlagsserie auf Hunderte
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