Das Ende der Geduld
vermittelt bekommen, dass sich Schule lohnt, dass es Perspektiven für die Zeit danach gibt. Auch die Unternehmen haben ein Interesse an motivierten Nachwuchskräften. Ich sehe hier die Wirtschaft, die ständig einen Mangel an Fachkräften beklagt, in der Pflicht, sich konstruktiv einzubringen. Einigen Medienberichten habe ich in der letzten Zeit entnommen, dass es in diesem Bereich inzwischen Bemühungen gibt. Allerdings beklagen die Unternehmen den Wissensstand der Hauptschüler, der teilweise nicht einmal dem Grundschulniveau entspreche.
Den Umgang mit Medien und Gewalt könnte man ebenfalls in den Unterrichtsstoff aufnehmen. Dies sollte mit nachmittäglichen Aktivitäten verknüpft werden. Warum kann ein Anti-Gewalt-Projekt nicht präventiv an einer Schule tätig sein? Genauso erscheint es mir möglich, die Kinder z. B. in Workshops an einen vernünftigen Umgang mit den Medien heranzuführen. Weshalb nicht selbst einen Film drehen, der sich mit der Problematik des übertriebenen Konsums von Gewaltdarstellungen beschäftigt? Bei einem solchen Unternehmen wären dann beide Themenkreise sogleich miteinander verknüpft.
Ein spezieller Fall - das Jugendamt Neukölln
In Neukölln leben 300.000 Menschen. Davon haben insgesamt 40 Prozent einen Migrationshintergrund. In Nord-Neukölln, dem eigentlichen sozialen Brennpunkt, sind es 53 Prozent, bei den unter 18-Jährigen sogar 80 Prozent. Im Jahr 1994 waren 47.260 Menschen auf staatliche Transferleistungen angewiesen. Im Jahr 2009 waren es 91.250 Personen, was eine Steigerung um 93 Prozent bedeutet. Die Arbeitslosigkeit ist im selben Zeitraum auf insgesamt 18,6 Prozent - bei Migranten liegt sie etwa doppelt so hoch - gestiegen. Und dies, obwohl das Jobcenter in der Lage ist, jedem jungen Menschen unter 25 Jahren eine Ausbildung auf dem 1. oder 2. Arbeitsmarkt, eine Bildungs- oder Qualifizierungsmaßnahme oder eine sonstige Hilfsmaßnahme, wie z. B. psychosoziale Beratung, anzubieten.
Der Bezirk verfügte im Jahr 2009 über einen Haushalt von 593 Mio. Euro. Hiervon mussten 383 Mio. Euro für Transferleistungen aufgewendet werden, was knapp 65 Prozent des Gesamthaushaltes entspricht. Das Personal kostet den Bezirk 80 Mio. Euro, für Sachmittel werden 53 Mio. Euro benötigt, die Betriebskostenzuschüsse für Kitas belaufen sich auf 72 Mio. Euro. Für Investitionen verblieben so 5 Mio. Euro, also weniger als ein Prozent des Haushaltes.
Dementsprechend gestaltet sich die Situation des Jugendamtes. Seine Handlungsfähigkeit hängt im Wesentlichen davon ab, wie viele „Hilfen zur Erziehung" (HzE) benötigt werden bzw. in Anbetracht der wirtschaftlichen Lage geleistet werden können. War im Jahr 2004 noch mit 38,736 Mio. Euro für Familien- und Einzelfallhilfen auszukommen, was gegenüber dem Durchschnitt der anderen Bezirke eine Mehrbelastung um knapp 9 Mio. Euro bedeutete, wurden im Jahr 2009 knapp 50 Mio. Euro benötigt. Der Durchschnitt der übrigen Bezirke liegt für 2009 um schätzungsweise 16,5 Mio. Euro niedriger.
Das bedeutet nichts anderes, als dass das Jugendamt nur noch in den dringendsten Fällen von Kindeswohlgefährdung weitere Hilfen gewähren kann. Die Mitarbeiter des Jugendamtes Neukölln haben diese Lage schon lange erkannt.
Aufgrund dessen haben 70 Beamte bereits im November 2006 einen offenen Brief an die politisch Verantwortlichen geschrieben und eindringlich auf ihre Situation aufmerksam gemacht. Dort heißt es: „Sehr geehrte Damen und Herren, in unserer Verantwortung für die Garantenpflicht des Staates gegenüber den Neuköllner Kindern und Jugendlichen wenden wir uns mit unseren Sorgen an Sie und fordern Abhilfe ein. Angesichts unserer zunehmend schwieriger werdenden Arbeitssituation müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir den Kinder- und Jugendschutz in den uns heute schon bekannten und uns zukünftig bekannt werdenden Fällen unseres Zuständigkeitsbereiches nicht mehr garantieren können." Und weiter: „Die zunehmende Verarmung immer breiterer Teile der Bevölkerung erhöht das soziale Risiko für Kinder, von ihren Eltern in ihren Bedürfnissen nicht mehr ausreichend versorgt und wahrgenommen zu werden. Diese Kinder drohen äußerlich und emotional zu verwahrlosen." Und schließlich: „Demgegenüber ist unsere Arbeit inzwischen auf ein unerträgliches Maß verdichtet worden, durch: Nichtbesetzen freiwerdender Stellen innerhalb der letzten Jahre, Abbau des bezirkseigenen Pflegekinderdienstes, Stellenabbau im Kinder- und Jugendgesundheitsdienst,
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