Das Ende der Geduld
Allgemein wird uns von Vertretern der Regierung das vorherrschende Leitbild der „Community Cohesion" vorgestellt. Der Begriff meint, dass das Zusammenleben verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und Ethnien angestrebt werden soll, ohne dass eine Assimilation der Migrantencommunitys verlangt wird. Laut einer Studie meinen deshalb angeblich 82 Prozent der Briten, „gut miteinander auszukommen". Die Studie bezieht sich allerdings auf ganz England, bezogen auf die Hauptstadt liegt der Wert weit niedriger. Die Trennung der Wohngebiete in „weiße" und „schwarze" ist seit Jahren vollzogen, eine Durchmischung wird hier gar nicht mehr erwünscht bzw. erscheint auch nicht realistisch. Die Strategie der „Cohesion" soll zuvörderst Rassismus verhindern und einer Radikalisierung vorbeugen. Mir kommen allerdings viele Zweifel. Denn sind die Ethnien erst einmal getrennt, werden die gegenseitigen Vorurteile doch eher gefördert als herabgesetzt. Angesprochen wird auch in London die Gruppe der Roma, bezüglich deren allgemeine Ratlosigkeit herrscht. Speziell die Bildung der Kinder stellt eine große Herausforderung dar. Wie in Glasgow erfahren wir, dass die Roma-Kinder ab dem zwölften Lebensjahr die Schulen nahezu nicht mehr besuchen. Die Mädchen werden früh verheiratet, teilt man uns mit. Eine Lösung für dieses Problem hat auch hier keiner.
Speziell im Blick auf das mich besonders beschäftigende Thema der Jugendkriminalität und der Strategien zu ihrer Bekämpfung erfahre ich in London kaum konkrete Zahlen oder gar Fallschilderungen. Einige erschreckende Daten sind nicht zu verbergen: 27 Tötungsdelikte im Jahre 2006 und 32 im Jahr 2007 wurden jeweils begangen durch Kinder und Jugendliche im Alter zwischen zehn und 17 Jahren. Die Strafmündigkeitsgrenze liegt in England bei zehn Jahren. Angesichts dieser Zahlen bestreitet niemand, dass die Jugendlichen brutaler geworden sind und der Täterkreis sich ganz überwiegend aus jungen Menschen mit Migrationshintergrund zusammensetzt. Man hat sich deshalb entschlossen, den jeweiligen ethnischen Hintergrund zu erfassen, und ist in den stark betroffenen Stadtteilen zu einer sogenannten „Zero-Tolerance-Strategie" übergegangen. Den Gangs wird in den inoffiziell bestätigten „No-go-Areas" dreierlei mitgeteilt: "Wir schlagen zurück", „Wir sammeln Daten", „Wir arbeiten vernetzt". So existiert beispielsweise eine flächendeckende Kooperation zwischen Schule, Polizei und Jugendamt in Gestalt von „YOTs - Youth Offending Teams". Alle sechs Wochen treffen sich Vertreter der beteiligten Organisationen, beraten Einzelfalle und vereinbaren Strategien im Umgang mit den betreffenden Familien. Die Anzahl der delinquenzbelasteten Jugendlichen konnte so von 520 im Jahr 1989 auf 360 im Jahr 2008 gesenkt werden. Allgemein erfuhren wir, dass 85 Prozent der Jugendlichen nur gelegentlich straffällig werden. Für diesen Teil der Täter ist u. a. das Projekt der „VPC - Volunteer Police Cadets" eingerichtet worden. Der Richter kann bei Bagatelldelikten anordnen, dass der Angeklagte besagtes Projekt aufsucht. Dort findet im Wesentlichen sinnvolle Freizeitgestaltung unter besonderer Betonung der Verantwortung gegenüber der Gesellschaft statt. 15 Prozent der jugendlichen Delinquenten sind Intensivtäter, die es durch vernetzten Informationsaustausch schnell zu identifizieren und sinnvollen Sanktionen bzw. Reaktionen zuzuführen gilt. Die Strafverfahren dauern in der Regel ca. 72 Tage, was recht zügig ist. Haftstrafen werden ohne Beteiligung eines Jugendgerichts verhängt, nach Verbüßung der Hälfte einer Strafe in speziellen Anstalten kommt eine vorzeitige Entlassung auf Bewährung in Betracht. Besonders sinnvoll ist die Begleitung der Haftentlassenen während der ersten sechs Tage nach der Entlassung durch Mitarbeiter des YOT, besteht doch in dieser Zeit großer Orientierungs- und Betreuungsbedarf.
Im Bereich der Prävention im schulischen Bereich ist der „Saver School Officer" aktiv. In London gibt es insgesamt 185. Sie sind den Schulen in Problembezirken zugeordnet und besuchen diese regelmäßig. Der Beamte erhält Einblick in die Daten der Schüler. Die Schulleitung wendet sich an ihn, wenn es Schwierigkeiten mit einzelnen Schülern gibt. Schulschwänzer werden zu Hause aufgesucht. Wenn die Eltern nicht aufzufinden sind, werden Erkundigungen bei den Nachbarn eingeholt. Eltern, die sich extrem verweigern, drohen Bußgelder und im schlimmsten Fall auch eine Inhaftierung. Der
Weitere Kostenlose Bücher