Das Ende der Geduld
soziales Miteinander wird zusätzlich durch pfiffige Projekte gestärkt.
Jedoch: Was Norwegen finanziell hierfür investiert, kann wahrscheinlich nicht von jedem europäischen Land geleistet werden, das mit ähnlichen Problemlagen konfrontiert wird. Außerdem ist das Kriminalitätsproblem in Norwegen noch nicht so gravierend wie in Deutschland. Mit sechs Haftplätzen für jugendliche Straftäter käme keine Großstadt in Deutschland aus.
Glasgow
Die Stadt hat nur noch 600.000 Einwohner, nachdem sie zuvor bis zum Niedergang der Schwerindustrie eine Million Menschen zählte. Die Arbeitslosenquote liegt bei sieben Prozent. Der Anteil der Bewohner von Glasgow mit Migrationshintergrund beträgt fünf Prozent. Die meisten Zuwanderer stammen aus Pakistan, gefolgt von der Slowakei, Rumänien, Indien und arabischen Ländern, wobei keine staatenlosen Palästinenser oder Türken nach Schottland gezogen sind. Das Stadtbild ist angenehm. Es fallen auf den ersten Blick keine Graffitis, Vandalismus oder andere Zeichen einer vernachlässigten Gemeinschaft auf.
In Schottland habe ich ebenso vergeblich auf Zahlen bezüglich der Kriminalität im Allgemeinen und der Jugenddelinquenz im Besonderen gewartet - und das, obwohl nach unseren Vorabinformationen die Mordrate in Glasgow doppelt so hoch ist wie in London. Das Stadtgebiet East End kann mit diversen Jugendgangs, die einige Hundert Mitglieder umfassen, aufwarten. Die jüngsten sind acht Jahre alt. Die Bewaffnung mit Messern ist Standard. Auch in Schottland gibt es kein Jugendgerichtsgesetz oder ein entsprechendes Gericht für alle Jugendlichen. Dabei liegt die Strafmündigkeitsgrenze bei zwölf Jahren (bis vor einigen Jahren lag sie bei acht!). Wir erfahren von einem Amtsrichter, der modellhaft den Hamilton Sheriff Court in einer Nachbargemeinde von Glasgow leitet, dass die Staatsanwaltschaft nur in schwerwiegenden Fällen unter 16-Jährige anklagt. Eigentlich gelte das Prinzip „Fürsorge statt Strafe". Bei kleineren Delikten wie Diebstahl oder Sachbeschädigung wird ein „Children's Hearing" durchgeführt, nachdem der Richter den Sachverhalt geprüft hat. Dann befinden ehrenamtlich tätig werdende Bürger über die einzuleitende Maßnahme. Wird Anklage zum Jugendgericht erhoben, kann bei geständigen Angeklagten innerhalb von zehn Tagen nach Tatbegehung, bei nichtgeständigen Tätern innerhalb von 40 Tagen im beschleunigten Verfahren verhandelt werden. Da stieg in mir natürlich der Neid auf, allerdings muss man sich vergegenwärtigen, dass in einer kleinen Gemeinde in der Nähe Glasgows auch ein geklautes Fahrrad bereits Aufsehen erregt, wie mir mein Kollege glaubhaft versicherte. Was die möglichen Reaktionen auf strafbares Verhalten angeht, wurde mitgeteilt, dass Geld-und Bewährungsstrafen ebenso verhängt werden wie Arbeitsauflagen, ein Täter-Opfer-Ausgleich durchgeführt werden kann, Familienkonferenzen und Drogentherapien angeboten werden. In Schottland gibt es Jugendstrafanstalten. Diese sind für Verurteilte bis zum 21. Lebensjahr vorgesehen.
Das Projekt des Jugendgerichts wurde bereits positiv evaluiert, dennoch ist keine Ausweitung auf ganz Schottland geplant. Es bleibt uns Besuchern allerdings verborgen, wie außerhalb des dargestellten Modells mit jugendlichen Straftätern umgegangen wird. Irgendwie wird immer wieder der Eindruck erweckt, man habe gar keine Jugenddelinquenz zu bekämpfen.
Wie ist es dann aber zu erklären, dass viele Schulen einen „Campus Police Officer" haben und andere unbedingt nach einem solchen verlangen? Ein solcher Polizeibeamter verfügt immerhin über ein eigenes Büro in der Schule. Die Leiterin der „Shawlands Academy", einer ethnisch gemischten Mittelschule für über zwölfjährige Kinder, erklärt, es gebe keine Gewaltvorfälle in der Schule, wohl aber sei die Gegend um die Schule herum schwierig, denn hier hielten sich bewaffnete Jugendliche auf. Der „Campus Police Officer", über den die Academy zum Bedauern der Leiterin nicht verfügt, sei nur dafür vorgesehen, während der Pausen zu kontrollieren, ob die Jugendlichen rauchen oder Müll auf den Boden werfen. Das kam mir doch unglaubhaft vor, schließlich könnte das auch ein kompetenter und durchsetzungsfreudiger Hausmeister leisten. Die Polizei mag allein durch ihre Präsenz eine hohe präventive Wirkung entfalten, üblicherweise wird sie aber nur dort so unmittelbar wie in der Schule selbst eingesetzt, wenn auch ein Kriminalitätsproblem besteht. Drinnen alles
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